Predigt am Ostersonntag 2023
Lesung aus dem Alten Testament: 1 Samuel 2, 1-8a
Predigttext:1. Korinther 15, 1-11
1 Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, 2 durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. 3 Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; 4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; 5 und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. 6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. 9 Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. 11 Ob nun ich oder jene: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt.
Liebe Gemeinde!
Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden! So klingt es heute laut und fröhlich in unserer Kirche und bleibt hoffentlich nicht in den Mauern stecken. Es ist ja nicht irgendein Teil unseres Bekenntnisses, vielmehr der zentrale Satz überhaupt. Paulus sagt: Ist Christus nicht auferweckt worden, so ist euer Glaube vergeblich. Ohne das Bekenntnis zum auferstandenen Herrn bräuchten wir über unseren Glauben gar nicht weiter nachzudenken.
Aber in Korinth geschehen merkwürdige Dinge. Paulus schreibt an eine christliche Gemeinde. Er nennt sie Brüder und Schwestern, und muss sie doch an dieses Bekenntnis erst erinnern. Haben sie es etwa vergessen?
Was soll´s. Wir vergessen doch auch so viel. Namen z.B., wie schnell sind sie weg. Oder Adressen und Telefonnummern, die einmal geläufig waren. Oder Vokabeln, die wir einst lernen mussten. Dieses Beispiel macht nachvollziehbar, wie das Vergessen funktioniert: Die Wörter, die man uns eingetrichtert hat, die wir aber nicht angewendet haben, sind schnell vergessen. Was aber vom Kopf ins Leben gewandert ist, also zur lebendigen Sprache geworden ist, das bleibt.
Es ist berührend, wenn alte Menschen, die vielleicht schon lange mit Demenz leben, von ihrer Kindheit nichts mehr wissen oder Angehörige nicht mehr erkennen, die Lippen bewegen, wenn das Vaterunser gebetet wird. Oder gar mit Worten einstimmen, wenn es heißt: Der Herr ist mein Hirte. Dann kann man sicher sein: Das ist nicht nur gelernt, sondern gelebt. Wenn eine das sagen kann: Der Herr ist mein Hirte, dann hat sie wirklich alles gelernt, was man im Leben lernen kann.
Mit dem Kopf Gelerntes kann man vergessen; Gelebtes wohl eher nicht.
Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden! Wenn diese Worte zu Trost, Freude und Hoffnung geworden sind, also zu einer Kraft, die wie Sauerteig das ganze Leben durchdringt, dann werden sie nicht vergessen. Umgekehrt ist die Tatsache, dass Paulus die Korinther an dieses Bekenntnis erst erinnern muss, eine Anfrage an ihr Leben. Die Frage nach der dem Glauben entsprechenden Lebensform stellt Paulus ja in seinen Briefen immer wieder explizit.
Paulus fängt mit seiner Erinnerungsarbeit ganz klein an. Er wiederholt den Wortlaut dieses knappen Bekenntnisses, dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; 4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift. Er sagt: „Ich habe es empfangen; nun gebe ich es weiter.“ Wenn wir an diesem Ostermorgen neu einen Platz suchen für dieses Bekenntnis in unserem Leben, müssen wir nicht bei Null anfangen. Wir leben von dem, was wir empfangen haben. Das ist der tiefere Grund für die lange Aufzählung von Zeugen der Auferstehung. Durch die Jahre und Jahrhunderte reichen wir das Zeugnis weiter.
Nur jammerschade, unverzeihlich und folgenschwer, dass Paulus dabei ausgerechnet die Frauen vergessen hat, die doch zuerst die frohe Botschaft weitererzählten.
Bisher hatte ich unseren Briefabschnitt immer so verstanden, als wolle Paulus durch die Menge der Zeugen (mehr als fünfhundert) und ihre Autorität (Petrus und Jakobus) die Glaubwürdigkeit der Auferstehungsbotschaft beweisen. Wir sind ja auch eher geneigt, etwas zu glauben, wenn die Nachricht von einer Person stammt, der wir vertrauen. („Wenn der das sagt, dann muss es wohl stimmen…“)
Können uns die fernen Namen Petrus und Jakobus noch überzeugen? In der Aufklärung im 18. Jhd. ist diese Zuversicht abhanden gekommen. Gotthold Ephraim Lessing hat vom „garstigen Graben“ der Geschichte gesprochen und damit die verflossene Zeit gemeint, die uns von früheren Zeiten trennt und es unmöglich macht, das, was einstmals für wahr gegolten hat, unbesehen anzuerkennen. Überzeugen kann nur, was meiner Vernunft und Erfahrung entspricht. Aber genau diese beiden Kriterien können für Jesu Auferstehung nicht geltend gemacht werden. Weder haben wir davon eine Erfahrung, noch passt sie in unsere Gedankenwelt.
Die Überzeugungskraft dieser langen Zeugenliste liegt für die Korinther auch darin, dass Paulus sie fortführt bis zu seiner eigenen Person. Er selbst, der durch den Auferstandenen vor Damaskus vom Saulus zum Paulus wurde, ist den Korinthern in seinem Zeugnis ein lebendiges Gegenüber.
Und noch etwas ist wichtig: Für Paulus geschah die Auferstehung Jesu in Übereinstimmung mit den Schriften (unseres Alten Testaments). In dem, was Gott zu Ostern getan hat, ist er sich treu geblieben. Er ist schon immer der, der vom Tod ins Leben ruft. So fügt er zweimal ein: nach der Schrift. Damit verlängert Paulus die Liste der Zeugen gleich in zwei Richtungen: In die Gegenwart (der Korinther) bis zu ihm selbst; in die Vergangenheit zu den Menschen, die es mit Gott zu tun bekommen haben, wie es die Schriften bezeugen.
Denken wir an Rettung aus dem Tod, dann denken wir an das Volk Israel nach der Flucht aus Ägypten, aussichtslos eingekeilt zwischen dem Meer und dem anrückenden ägyptischen Heer.
Denken wir an Rettung aus dem Tod, dann an Hannah, deren Lobgesang wir gehört haben, die Gott rettete aus tiefster Verzweiflung.
Und wir sprechen von der Bundestreue Gottes zu Israel; seiner Liebe, die immer wieder Zukunft ermöglicht. Darum kann Paulus sagen, dass Jesu Auferweckung der Schrift gemäß ist, weil Gott sich in seinem Handeln treu bleibt.
Für die Gemeinde in Korinth kam es darauf an, dass sie durch Paulus in der Kraft des Heiligen Geistes ein lebendiges Zeugnis bekam. Für uns kommt es darauf an, dass die Reihe der Zeugen nicht mit Paulus endet sondern weitergeht. Sonst blickten wir in einen „garstigen Graben“, der leicht zum Abgrund für unseren Glauben werden könnte. So sind auch wir einander mit Worten und Taten dieses Zeugnis schuldig.
Wir bezeugen seine Auferstehung, wenn wir Gottesdienst und Abendmahl feiern – nicht in Erinnerung an einen Toten, sondern in der Gegenwart des lebendigen Christus durch den Heiligen Geist. Wir bezeugen ihn, wenn wir in seinem Namen Resignation und Hoffnungslosigkeit überwinden; wenn wir getröstet werden durch seine Verheißung des Friedens; wenn wir allem Pessimismus zum Trotz uns austrecken nach Gottes endgültiger Erlösung.
Bei weltlichen Trauerfeiern kann man erleben, dass die Redenden in der Absicht zu trösten nicht auskommen ohne den Verweis auf ein unbestimmtes Etwas, das da nach dem Tod auf uns wartet. Der Tod als Tür... Aber nicht so eine vage Aussicht kann uns von Jesu Auferstehung überzeugen. Es ist umgekehrt: Der auferstandene Jesus, der lebendige Christus in unserer Mitte, ist der Grund für unsere Hoffnung auf Auferstehung. Gottes Geist zieht uns hinein in die Geschichte Jesu: in das, was Menschen erleiden und in die uns seit Ostern verbürgte Hoffnung, dass dieses Leid nicht das Letzte ist in unserer Geschichte mit Gott.
Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden! So bezeugen wir heute mit Jubel und Freude das Osterevangelium. Paulus widmet ihm das ganze 15. Kapitel dieses Briefes. Es beginnt nicht mit diesem Jubel, sondern mit leisen Tönen der Erinnerung und Mahnung. Die Osterbotschaft hat viele Formen. Auch Liebe, Geduld und Fürbitte gehören dazu, die wir denen schulden, die heute noch nicht einstimmen können in das Osterlob.
Zum Tisch des Herrn aber sind alle eingeladen. Wie Jesus auch mit allen seinen Jüngern das Brot brach.
Mit Judas sind alle eingeladen, die sich aus Ungeduld und Enttäuschung abgewandt haben. Mit Petrus, der ihn verleugnete, alle, die immer wieder daran verzweifeln, das Bekenntnis zum Auferstandenen von etwas Gelerntem zu Gelebtem zu machen. (Wer fühlte sich da nicht angesprochen…) Mit Thomas, dem Zweifler, alle, denen widerfahrenes Leid und Hiobsbotschaften aus aller Welt das Bekenntnis zum Auferstandenen in Zweifel ziehen.
Das Brot, das Christus ist, wird für alle gebrochen. Es nährt die österliche Hoffnung, dass einmal alle, wirklich alle, einstimmen werden in das Lob, das wir heute schon anstimmen: Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden! Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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