Predigt vom 05. April 2020

Predigt zum Palmsonntag, 5. April 2020

Corona hat uns fest im Griff,
auch in Alterlangen.
Ich bedaure es sehr, dass wir heute den Gottesdienst zum Palmsonntag
nicht gemeinsam in der vertrauten Kirche feiern können.
Aber ich lade Sie ein,
meine Predigt zur vorgesehenen Perikope zu lesen.

Der Predigttext aus dem Markus-Evangelium
entführt uns zunächst in eine andere Welt
und eine andere Zeit:

Markus 14

1 Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest und den Tagen der Ungesäuerten Brote. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. 2 Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe.
3 Und als er [Jesus] in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

I

Beim Lesen dieses Bibeltextes ist mir spontan unsere Orgel eingefallen.
Ganz selbstverständlich steht sie in unserer Johanneskirche,
seit über 15 Jahren tut sie ihren Dienst in Gottesdiensten und bei Konzerten,
allgemein als herausragendes Instrument anerkannt.
Wer schon länger in der Johannesgemeinde lebt,
erinnert sich vielleicht noch an die Diskussionen von damals,
als es um die Anschaffung einer neuen Orgel ging….
280 000 € sollte sie für die Gemeinde kosten -
das ist doch Luxus und Verschwendung,
wo eine Reparatur der alten Orgel doch auch genügen würde.
Es gibt so viel zu tun in der Gemeinde:
Das Geld könnte man dringend für den Bauunterhalt, z. B. des Gemeindehauses, brauchen,
oder die Gemeinde könnte in Menschen investieren,
etwa die Jugendleiterstelle oder eine Verantwortliche für Seniorenarbeit mitfinanzieren…
Vordringlich sind diakonische Aufgaben –
in der eigenen Gemeinde oder in der weiten Welt.
Alles berechtigte Anliegen für unsere Gemeinde …

… so wie das Anliegen der Männer,
die an jenem Abend kurz vor dem Passahfest in Bethanien bei Simon zu Tische saßen:
„Man hätte das Geld den Armen geben können.“
Der Evangelist Markus hat uns dieses Vorkommnis überliefert,
die Frau, die im Mittelpunkt steht und über die wir sonst nichts wissen,
ist unsterblich geworden.
Wer kann uns die Geschichte besser erklären als sie selbst.
Hören wir ihr also zu:

II

Kurz vor dem Passafest herrschte neben dem üblichen Wallfahrtstrubel
eine seltsam angespannte Stimmung in Jerusalem.
Es hatte etwas mit diesem Jesus zu tun.
Überall im Land predigte er,
wundersame Geschichten über ihn machten auch in Jerusalem die Runde.
Man munkelte, er sei ein Nachkomme des großen Königs David,
vielleicht sogar der Messias?
Und dieser Jesus wollte das Passahfest in Jerusalem begehen,
war mit seinen Jüngern schon auf dem Weg von Jericho,
schon vor den Toren der Stadt….
Auf jeden Fall wollte ich ihn auch sehen und begrüßen.

Und dann kam er - allerdings ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte:
Auf einem jungen Esel ritt er in die Stadt.
Ein König auf einem Lasttier?
Aber irgendwie passte es auch:
Er lebte ja als Wanderprediger, überall mischte er sich unters Volk,
scheute sich auch nicht, mit Zöllnern, Verachteten und Ausgestoßenen zusammenzutreffen.
„Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“ (Matth. 9, 13)
Dieses Wort von ihm machte überall die Runde.
Die Leute strömten herbei, breiteten ihre Kleider wie einen Teppich vor ihm aus
und streuten Zweige.
Ich stand auch in der Menge und hatte ein paar Palmwedel mitgebracht.
Ringsum begeisterte Hosianna-Rufe.
„Gelobt sei das Reich unseres Vaters David“, rief ich.
Und dann war mir Jesus ganz nah:
Er saß auf seinem Esel wirklich wie ein König,
Ich spürte es:
Dieser Jesus konnte Menschen heil machen an Körper und Seele.
Im Triumphzug begleiteten wir ihn durch die ganze Stadt.
Es fehlte nicht viel und wir hätten Jesus im Tempel zum König erhoben,
aber so weit kam es leider nicht…

Es war klar, dass Jesus in Bethanien, 3 km vor Jerusalem, übernachten würde.
Hier hatte er viele Freunde und Anhänger,
darunter auch Simon, der aussätzig gewesen war.
Ich wohnte in seiner Nachbarschaft und erfuhr zufällig,
dass Jesus zwei Tage vor Passah bei ihm zum Abendessen eingeladen war.
Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen!
Das Alabasterfläschchen mit dem kostbaren Nardenöl –
wie lange hatte ich es mir von meinem Verdienst zusammengespart.
Heilende Salben wollte ich daraus zubereiten und mir damit eine Existenz aufbauen…
Das Nardenöl war das Richtige für das, was ich vorhatte…

III

Endlich war der Abend gekommen,
an dem Jesus bei Simon zu Tisch saß.
Ungeduldig wartete ich draußen auf der Gasse,
und als alle beim Essen saßen, schlich ich mich in den Raum.
Bevor sie mich so richtig bemerkten,
hatte ich schon den Hals des Alabastergefäßes zerbrochen
und goss das kostbare Öl bis zum letzten Tropfen über Jesu Haupt
- mit meiner ganzen Ehrerbietung und Dankbarkeit…
Jetzt war er – nach dem unvollendeten Einzug in die Stadt –
wie Saul und David zum König gesalbt!
Ein betörender Duft erfüllte den ganzen Raum,
einen Moment lang herrschte eine feierliche Stille. -
Ich wollte mich möglichst unbemerkt davonstehlen,
da ging die Streiterei los.
Ja, das Nardenöl war wirklich sehr wertvoll,
man hätte das Geld auch den Armen geben können.
Alle Anwesenden entdeckten sofort ihr soziales Gewissen
und fielen förmlich über mich her.
Von Vergeudung sprachen sie!
Sie hatten aber auch gar nichts verstanden.
Was man verschenkt, ist nicht verschwendet!

Wunderbar fand ich, wie Jesus reagierte.
Ich glaube, er genoss die ganze Zeremonie,
und dann nahm er mich, eine einfache Frau, vor allen in Schutz!
Er fand eine Erklärung für meine Tat,
an die ich selbst nicht im Traum gedacht hatte.
Jesus wusste schon alles,
was in den nächsten Tagen geschehen sollte:
sein Leiden und Sterben.
So sah er in meiner Salbung den letzten und größten Liebesdienst,
den ein Mensch einem Verstorbenen erweisen konnte:
die Salbung bei der Bestattung des Toten.
Wir mussten alle leidvoll erleben,
dass die ahnungsvollen Worte Jesu so bald Wirklichkeit wurden…

IV

Ich konnte das ja nicht ahnen.
Aber ich hatte noch im Ohr,
was Jesus zuvor im Tempel den Schriftgelehrten geantwortet hatte
auf deren Frage nach dem höchsten Gebot:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzen Gemüt und von allen deinen Kräften.“ (Markus 12, 30)
Spätestens seit dem Triumphzug wusste ich, dass Jesus Gottes Sohn war,
ihn wollte ich lieben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzen Gemüt und von allen meinen Kräften.
All das legte ich in das kostbare Nardenöl und die feierliche Salbung!
Das andere ist die Nächstenliebe, hatte Jesus noch gesagt,
aber für mich ging es hier um die Liebe zum Höchsten.
Er hat uns ja schließlich sich selbst geschenkt durch seinen Tod am Kreuz.
Auch wenn ich es noch gar nicht wissen konnte,
irgendwie spürte ich es:
Es waren die letzten liebevollen Gesten,
die Jesus in seinem irdischen Leben guttun sollten.
Denken wir nur an den Verrat des Judas und die schlafenden Jünger im Garten Gethsemane…
Es war keine Vergeudung, es war Liebe.
„Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe […],
und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.“
(1. Kor. 13, 3)
Das schrieb später Paulus.
Die Liebe ist doch der springende Punkt.
Sie kommt in vielerlei Weise zum Ausdruck
und jeweils in ihrer Zeit…

V

…. Hat sie nicht Recht, die namenlose Frau:
„Die Liebe ist doch der springende Punkt…“
auch in unserer Zeit,
auch mit der Orgel in der Johanneskirche.
Was wären unsere Gottesdienste,
- die wir in Zeiten von Corona schmerzlich entbehren müssen -
was wären unsere Gottesdienste,
mit Anbetung, Lob, Dank, Bekenntnis, Verkündigung und Gebet,
ohne unseren Gesang
und ohne die gebührende Begleitung unserer kostbaren Orgel?
Jeden Sonntag ein dankbares Geschenk an unseren Gott,
der uns mit sich versöhnte, indem er uns seinen Sohn schenkte.

Johann Sebastian Bach, einer der ganz großen Schöpfer von Kirchenmusik,
auch der Johannes- und der Matthäuspassion,
(von zu Hause aus im Radio oder von der CD können wir sie auch heuer hören).
Bach schuf seine Passionswerke voller Liebe zu Jesus, seinem Leiden und Sterben.
Soli Deo Gloria, „Gott allein [sei] die Ehre“,
können wir auf all seinen Manuskripten als Motto und Widmung lesen.

„Die Liebe ist doch der springende Punkt…“
Wir zeigen sie auf so vielerlei Weise in unserer Gemeinde:
im Gottesdienst-Team und beim KONTAKT-Austragen,
beim Kaffeekochen, am  Kuchen- und Salatbüffet,
in der Bücherei, beim Musizieren und in der IT-Beratung,
im Schatzinsel-Team, in der Konfi-Arbeit,
im Altenheim und im Seniorenclub,
im Kindergarten und in der Gemeindeleitung…
… und auch bei Spenden für die Orgel,
die Jugendleiterstelle, das Kirchendach,
das Schulgeld für Edita und so vielerlei diakonische Zwecke…

„Die Liebe ist doch der springende Punkt…“,
auch in Zeiten von Corona mit ihren Gefahren und Szenarien.
Wir alle erleben so viele Gesten der Liebe:
die große Hilfsbereitschaft und tätige Solidarität
gegenüber den Alten und Kranken und den Obdachlosen
und den aufopferungsvollen Dienst der vielen
in Kliniken, ambulanten Einrichtungen und Altersheimen…
"Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern,
das habt ihr mir getan." 
(Matth. 25, 40)

In wenigen Tagen feiern wir – wenn auch ohne Festgottesdienst –
Jesu Auferstehung, Gottes größtes Liebes-Geschenk an uns Menschen.
Unsere verschwenderische Liebe zu Jesus ist immer gefragt.
Amen.
                                                                                              Friedegard Brohm-Gedeon


 

Lied EG 417 „Lass die Wurzel unsers Handelns Liebe sein“


Fürbitte:


Guter Gott, Vater im Himmel,
du bist die Liebe,
und du hast die Liebe in unsere Herzen gepflanzt.

Wir danken dir
für die vielen Zeichen der Liebe und Verbundenheit,
der Gemeinschaft und der Fürsorge,
der Inspiration und der Kreativität,
die wir in diesen Tagen erleben und spüren.

Voll Liebe und Vertrauen bitten wir dich
für die Infizierten, die Kranken und für alle, denen die Medizin nicht mehr helfen kann,
für die, die sich eingeschlossen fühlen, die allein und in Angst leben
und für alle, die einsam sterben.

Voll Liebe und Vertrauen bitten wir dich
für die Menschen, die in Krankenhäusern und Pflegeheimen arbeiten,
in Arztpraxen, Laboren und Apotheken,
in Supermärkten, Ämtern und Gemeinden.
Wir bitten dich für die politisch Verantwortlichen,
für die Wissenschaftlerinnen und Forscher.

Voll Liebe und Vertrauen bitten wir dich
auch für die, die in diesen Tagen fast in Vergessenheit geraten:
für die Menschen im Bürgerkrieg in Syrien und anderswo,
die in Trümmern leben oder auf der Flucht sind,
für die Flüchtlinge auf Lesbos und anderswo,
für die Gestrandeten vor Europas Grenzen.

Guter Gott, Vater im Himmel,
du bist die Liebe.
Du gehst mit uns durch diese Zeit.
Du schenkst uns den Glauben, die Liebe und die Hoffnung.
Dir vertrauen wir uns an.
Amen

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