Die Gnade...
In der Stille...
Liebe Gemeinde!
„Das ist mein letztes Wort!“ – Wenn dieser Ausruf kommt, dann ist das oft eher bedrohlich. Dann soll oft etwas erzwungen werden. „Das ist mein letztes Wort!“ –
unser Predigttext ist auch in „letztes Wort“. Die letzten Verse des Prophetenbuches Micha.
Und ganz, ganz anders als die bedrohlichen „letzten Worte“.
Das letzte Wort hier bei Micha, das ist: GNADE.
Übrigens, eigentlich sind diese letzten Verse im Prophetenbuch Micha keine Worte, sondern ein Lied, ein Hymnus, ein Gesang. Das passt zur Gnade.
Wir können sicher sein, dass diese Komposition mit Bedacht gewählt wurde. Das letzte Wort, das ist: GNADE. Und übrigens, das erste Wort, das war auch schon GNADE. Vorzeiten geschworen.
Es ist ein wunderbarer, tröstlicher Gesang hier am Ende des Prophetenbuches. Und doch hab ich Sorge, ihn vorzulesen, denn es kommen auch die Worte „Sünde“ und „Schuld“ vor. Und ich weiß, dass diese Worte bei vielen Menschen so eine Klappe runtergehen lassen. Zu oft sind sie verwendet wurden, um Menschen klein zu halten. Das war und ist nicht gut und trifft die Sache nicht.
Vielleicht kann es das Hören erleichtern, wenn wir uns an die Lesung von vorhin erinnern. Dass Gott die Arme ausstreckt zu uns – wie ein Vater oder eine Mutter. Ausgestreckte Arme gelten uns – ob wir nun grad umgekehrt sind oder schon lange da. Gott streckt die Arme aus nach uns – mütterlich-väterlich – ach, noch viel klarer und liebevoller als Eltern es können. Gott streckt die Arme aus – ja GNADE ist nicht nur das letzte, auch das erste Wort, das uns gilt. Die Taufe, grad wenn wir uns nicht dran erinnern können, hält das fest. Ja, so können wir den Predigttext hören und werden wirklich die GNADE hören:
Ich lese aus Micha 7, Vers 18 bis 20:
Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der seinen Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! Er wird sich unser wieder erbarmen, unserer Schuld unter die Füße treten und all unserer Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unseren Vätern vorzeiten geschworen hast.
Liebe Gemeinde,
ich hatte die Predigt für heute schon fertig. Und dann ist mir heute Nacht etwas aufgegangen, was eigentlich ganz von Anfang an zu sehen war im Text. Und ich habe nochmal geändert.
Ich hatte die Predigt fertig – es war eine Predigt für einzelne Personen. Für jede und jeden einzeln.
Und dann ist mir heute Nacht aufgefallen: Dieses Lied redet nicht zu einzelnen Leuten. Ich hätte es wirklich gleich erkennen können. Dieses Lied redet zu einer Mehrzahl. „wird sich unser erbarmen//unsere Schuld...// unsere Sünden...// Jakob und Abraham – sie sind angesprochen als die Urväter des Volkes Israel, die von denen alle kommen.“
Also bin ich heute früh aufgestanden und habe die Predigt nochmal komplett umgeändert.
Also, heute geht es um uns in der Mehrzahl. Um uns als Gemeinde. Dabei wissen wir immer, das gilt ja für alle Predigttexte aus dem alten, oder besser: ersten oder hebräischem Buch der Bibel: Es gilt uns, weil wir durch Jesus Christus da mit hineinschlüpfen dürfen. Es gilt aber nicht nur uns. Das letzte Wort, die GNADE, das gilt auch ganz genauso den leiblichen Kindern Abrahms und Jakobs bis heute.
Also, wir sind als Mehrzahl angesprochen. Als Gemeinde. Oder, wenn man es feierlicher und größer sagen will: Als Kirche.
Wir werden durch dieses letzte Wort der GNADE auch als Gemeinschaft nicht festgelegt auf unsere Sünden und Fehler.
Das ist so wichtig und gut. Und immer wieder neu zu buchstabieren. Eine amerikanische Pfarrerin sagt Leuten, die zu ihrer Gemeinde dazu kommen wollen in einer ersten Vorstellung: „Wir werden Sie enttäuschen.“ Oh. Ja. Es ist doch so. Wir enttäuschen einander. Jede und Jeder von uns hier könnte von Verletzungen erzählen. ABER: Das ist eben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort ist Gottes GNADE, von der wir alle leben. Das letzte Wort ist Gottes GNADE, die Wunder tut. So dass wir, fehlerhaft wie wir sind, uns nicht nur enttäuschen, sondern uns auch gegenseitig gut tun und erfreuen.
Ich wollte erst gar kein konkretes Bespiel für das Gemeindeleben nennen, zu heikel sind die Dinge. Aber eines möchte und kann ich doch erzählen: Wir haben ja nun den Konfirmationstermin ein zweites Mal verlegt. Erst also vom April in den Juli. Und jetzt doch nochmal vom Juli in den März 2020. Und ob das richtig ist, weiß ich nicht. Ich hatte das Gefühl, nur zwischen falschen Möglichkeiten herumzusuchen. War dankbar für den Kirchenvorstand, der da sehr solidarisch mit herumgesucht hat. Und bin noch dankbarer für die Eltern – da gab es schon harte Fragen. Und eben auch Enttäuschung. „Wie soll ich das meiner Tochter jetzt erklären?“ Und gleichzeitig wurde diese Auseinandersetzung in einem liebevollen Ton geführt und auch immer wieder klar gesagt: „Ich weiß, wie schwierig alles ist.“ Das hat mir sehr gut getan. Ja, das letzte Wort ist GNADE.
Und wir leben als Gemeinde, als Kirche ja in einer Welt, die auf dieses Wort angewiesen ist. Gestern stand die deprimierende Zahl der Kirchenaustritte in der Zeitung. Ja, manchmal habe ich schon den Eindruck wir sind hier unterwegs als ein „Rest seines Erbteils“ ... Es ist so wichtig für unsere Welt, dass es Menschen gibt, die von der GNADE wissen und davon leuchten lassen. Wir müssen uns im Miteinander in der Gemeinde nicht ewig auf unsere Fehler festlegen. Und das gilt auch für unser Miteinander als Gesellschaft. Ein anderes Handeln ist möglich. Das heißt ja GNADE. Ein anderes, gutes Handeln ist möglich, das lassen sich Wege finden.
Manchmal wissen wir noch nicht genau, wie die Wege aussehen, aber wir lassen uns nicht davon abhalten, sie einzufordern: Wir haben im Kirchenvorstand überlegt, ob wir über unsere Kirchentüre so einen Rettungsring hängen. Der an die Menschen erinnert, die in Gummibooten im Mittelmeer treiben. Immer noch und immer wieder. Wir werden nochmal darüber sprechen, ob wir diesen Ring aufhängen. Denn es gab den Wunsch, nicht nur so ein Statement abzugeben, sondern konkret was zu tun. Aber ich denke, schon das Statement ist wichtig. Und durchaus in einer Linie mit dem, was im Michabuch so angemahnt wird.
GNADE, das heißt, wir sind nicht auf ewig auf unsere Fehler festgelegt. Anderes Handeln ist möglich. Wenn sich jetzt an den Arbeitsbedingungen in manchen Schlachthöfen etwas ändert – dann wird da GNADE gelebt.
Wir sind nicht auf ewig auf unsere Fehler festgelegt, unser Lied singt davon, dass Gott unsere Sünden in die Tiefe des Meeres wirft. Ein starkes Bild.
Wenn die Sünde so weggeworfen wird – sollen wir dann die Denkmäler, die an die Sünde erinnern auch wegwerfen? Manche werden weg müssen, manche aber wird man stehen lassen müssen, gerade um der Sünde nicht wieder zu verfallen. Das ist ja so ein Paradox, dass gerade die Erinnerung bewirkt, dass die Sünde selbst in der Tiefe des Meeres bleibt. (Und auch, wenn die Erinnerung nicht gepflegt wird, die Sünde wieder hochsteigt wie ein Meeresungeheuer.)
Deshalb ist es wohl gut, dass wir hier in Erlangen ein würdiges Denk-mal erhalten, dass zeigt, wohin es führt, wenn man anfängt, Menschenleben in lebenswert und nicht lebenswert einzuteilen.
Das letzte Wort ist GNADE. Es gibt Neuanfänge immer wieder, wir sind nicht auf ewig auf unsere Fehler festgelegt. Ich wünsche uns allen viele Entdeckungen der GNADE – immer wieder.
Und GNADE ist es auch, wenn eine Predigt am frühen Morgen geschrieben wird und dann erstaunlicherweise fertig ist, weil sie gebraucht wird...
AMEN.
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