Predigt in der Christmette am 24.12.22
Predigttext: Ezechiel 34, 23-31
23Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, 24und ich, der Herr, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der Herr.25Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen schließen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, dass sie sicher in der Steppe wohnen und in den Wäldern schlafen können. 26Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zu rechter Zeit. Das sollen gnädige Regen sein, 27dass die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen und das Land seinen Ertrag gibt, und sie sollen sicher auf ihrem Lande wohnen und sollen erfahren, dass ich der Herr bin, wenn ich ihr Joch zerbrochen und sie errettet habe aus der Hand derer, denen sie dienen mussten. 28Und sie sollen nicht mehr den Völkern zum Raub werden, und kein wildes Tier im Lande soll sie mehr fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken. 29Und ich will ihnen eine Pflanzung aufgehen lassen zum Ruhm, dass sie nicht mehr Hunger leiden sollen im Lande und die Schmähungen der Völker nicht mehr ertragen müssen.30Und sie sollen erfahren, dass ich, der Herr, ihr Gott, bei ihnen bin und dass die vom Hause Israel mein Volk sind, spricht Gott der Herr. 31Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.
Liebe Gemeinde,
aus verschiedenen Richtungen kommen wir am Ende dieses Tages zusammen: Die einen aus stressiger Vorbereitung, Anspannung und lauter Fröhlichkeit; andere aus Einsamkeit, in der die Zeit nicht vergehen will. Das Ziel ist das Gleiche: In der Stille dieses Gottesdienstes möge uns der weihnachtliche Frieden berühren und die Freude über Jesu Geburt erfüllen. Wir möchten selbst hineinfinden in den Stall von Bethlehem. Wer könnte uns besser führen als die Hirten, die zuerst den Weg in den Stall gefunden haben?
Aber ich frage mich, wie sie dort überhaupt zur Ruhe finden konnten. Die Schafe hatten sie ja allein zurückgelassen. Würden sie alle wiederfinden? Welchen Gefahren war die Herde in dieser Nacht ausgesetzt? Ich bin mir nicht sicher, ob die Hirten diese Fragen mit in den Stall genommen haben, oder ob sie das alles vor der Tür lassen konnten. Ich weiß nicht einmal, was die bessere Alternative wäre.
Wie schwer ist es, die immer um die gleichen Dinge kreisenden Gedanken, die kleinen und großen Sorgen unseres Lebens für einen Moment außen vor zu lassen und mit den Hirten im Stall in stiller Freude Frieden zu finden?
Hier – sozusagen auf der Schwelle zum Stall – lässt sich die Weihnachtsgeschichte gut unterbrechen und mit dem Propheten Ezechiel weitererzählen. Und seine Worte bewahren uns davor, dass wir uns in einer trügerischen Hirtenromantik verlieren. Es ist ja – mit Ezechiels Worten – noch längst nicht so, dass alle Menschen und Völker ruhig in ihrem Land wohnen und schlafen können; dass es nur gnädige Regen gibt und nicht auch bösartige Überschwemmungen; dass Felder und Bäume die Menschen ernähren und keine Hungersnot sie bedroht; dass niemand unterdrückt oder unterjocht und wegen seiner Herkunft geschmäht wird.
In der Advents- und Weihnachtszeit hören wir auf viele Worte der Propheten. Und es berührt uns die Sehnsucht nach Frieden und Heil von Gott her, die hier aufscheint.
Freue dich sehr, du Tochter Zion; jauchze, du Tochter Jerusalem. Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. Dies ist zum Beispiel ein Vers aus dem Buch Sacharja, der uns durch die Adventszeit begleitet hat und deutlich macht, was Advent bedeutet: Das Warten auf den kommenden Herrn und Heiland.
Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. Wofür ich keine Worte habe, was mich sprachlos macht, das kann ich nicht verstehen und einordnen.
Die Worte der Propheten wurden zur Sprache, mit der Menschen verstehen konnten, was zwischen Galiläa und Jerusalem, Bethlehem und Golgatha geschah. Diese alten Worte öffneten ihnen die Augen für das, was zu Weihnachten der Engel zu den Hirten gesagt hatte: Euch ist heute der Heiland geboren. So hat es die Christenheit immer verstanden: Was die Propheten verheißen haben, hat sich mit Jesu Geburt erfüllt.
Aber es genügt nicht, Prophetenwort und Weihnachtsgeschichte nur in einer Richtung zu lesen; also vom Alten zum Neuen Testament. Wenn wir beides nebeneinander halten, sehen wir:
Ja, Gott hat seine Verheißung durch den Propheten wahr gemacht. Der einzige, oder wie es Jesus selbst sagt: der Gute Hirte ist geboren. Aber ist auch schon alles erfüllt? Die Worte Ezechiels haben sich mit Weihnachten nicht erledigt. So, als könnten sie nun abgehakt, abgeheftet werden. Nein. Sie sind nicht bloße Vor-Worte, die nun überholt sind. Sie bleiben Gottes lebendiges Wort, das uns die Augen dafür öffnen will, wie viel es noch zu hoffen und zu erwarten gibt – auch für unser eigenes Leben.
Der Hirte ist geboren, und die Schafe sind allein. So war es in der Weihnachtsnacht; wenigstens für einige Zeit. Und so, denke ich, fühlen wir uns auch manchmal mit unserer Sehnsucht nach Geborgenheit, gerade zu Weihnachten. Vielleicht erfüllen sich nicht alle Hoffnungen, die wir auf das Weihnachtsfest richten. Erzwingen können wir das sowieso nicht. Aber wir können uns auf die Hoffnung ausrichten, dass Gott selbst uns Geborgenheit bei ihm schenkt, wie es die Hirten erfahren haben – so wie es Ezechiel sagt: Sie sollen erfahren, dass ich, der Herr, ihr Gott, bei ihnen bin. Mehr lässt sich auch zu Weihnachten nicht wünschen als diese Erfahrung.
Ein größeres Geschenk brauchen wir nicht, als dass uns die Geburt dieses Kindes so berührt, dass wir getröstet, aufgerichtet und froh werden, weil Gott uns durch dieses Kind erfahren lässt, dass er bei uns ist – nicht zu Weihnachten.
Eine Herde ohne Hirten. So war es in der Weihnachtsnacht, aber so kann es nicht bleiben. In Zeiten großer Verunsicherung und Orientierungslosigkeit wird der Ruf nach einem Hirten schnell zur Suche nach einem starken Mann, einer starken Frau; jemand, der den Durchblick hat, der sich wirklich auskennt, die nötigen Dinge mit Entschlossenheit anpackt und die Richtung vorgibt. Wer aber so vorangeht, hat die Schafe im Rücken. Er sieht sie nicht.
Der gute Hirte jedoch geht hinter der Herde. Er hat jedes Tier im Blick und kennt es. Dass Gott mit Macht und gewaltig kommt, erfüllt sich nicht im sprichwörtlichen starken Mann, sondern in einem neugeborenen, schutzbedürftigen Kind.
Mit den Hirten sind wir in den Stall von Bethlehem eingetreten. Wie schön wäre es, wir könnten einfach die Augen schließen, alle bedrückenden Bilder ablegen und alle bohrenden Fragen draußen lassen? Mit diesem Propheten Ezechiel wird es nicht gelingen. Weil er nicht zudeckt, sondern offen hält, was noch aussteht.
Also bringen wir alles mit, was uns bewegt. Weihnachten heißt nicht, die Augen zu schließen und von einer anderen Welt träumen, sondern sehen können, dass sie in Bethlehems Stall schon angebrochen ist.
Es ist noch nicht alles erfüllt, was Gott verheißen hat. Aber es ist alles entschieden!
Wir haben einen guten Hirten, der uns kennt und sieht und auch in kommender Dunkelheit nicht allein lässt. So hat es Jochen Klepper formuliert: Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr. Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her. Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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