Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis, 29. August 2021
Johanneskirche Alterlangen
I.
Nach den Abendnachrichten wird der Fernseher bei uns schnell wieder ausgeschaltet.
Wir meiden die vielen Krimis,
die das Abendprogramm auf allen Kanälen dominieren.
Mord und Gewalt
sollen nicht ständig in unserem Alltag präsent sein.
Im heutigen Predigttext ganz vom Anfang der Bibel
geht es aber leider auch um Mord und Gewalt.
Es geht um den ersten Mord, ein Brudermord,
und darum, wie die Gewalt unter die Menschen kam.
Wir alle kennen die Geschichte von Kain und Abel –
sie hat sich tausendfach zugetragen und geschieht noch immer…
Sie hält uns allen den Spiegel vor.
Ich lese aus dem Buch Genesis im 4. Kapitel:
1 Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN. 2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist's nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.
Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer,
aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
Wie erkennt Kain, dass Gott sein Opfer nicht annimmt?
Unwillkürlich habe ich ein Bild vor Augen:
Man sieht einen Opfertisch mit dem geschlachteten Lamm,
daneben Abel mit erhobenem Kopf und gefalteten Händen andächtig kniend.
Etwas am Rand der Szene der Altar mit Getreidegarben,
davor hockt Kain, den grimmigen Blick zum Boden gesenkt.
Rechts oben sitzt Gott mit Zepter und Reichsapfel.
Der Rauch von Abels Opfer steigt zu ihm auf,
Kains Opfer-Rauch bleibt dagegen am Boden.
Gleich im Hintergrund auf dem Feld erschlägt Kain seinen Bruder
und empfängt von Gott sein Urteil.
Dank Internet habe ich das Bild wiedergefunden,
ein Holzschnitt aus einer Lutherbibel von 1545.
Er hat möglicherweise nicht nur meine Vorstellung von der Geschichte von Kain und Abel geprägt,
etwa mit der Rauchsäule über dem Altar.
Es ist ein holzschnittartiges Bild –
die Fragen, die ich heute an die Geschichte habe, sind ausgespart...
II.
Eines vorweg:
Schon die Menschen der Urgeschichte verstehen ihr Leben als Gabe Gottes:
Eva bekommt ihre Söhne „mithilfe des HERRN“.
Die Brüder bringen ihre Dankbarkeit für die Produkte der Arbeit
mit einem Opfer zum Ausdruck.
Dabei achten sie auch auf Gottes Gunst:
Und sie meinen, Unterschiede erkennen zu können.
Der erste Konflikt zwischen Menschen ist ein religiöser Konflikt!
Aber stimmt Kains Wahrnehmung,
dass Gott sein Opfer nicht gnädig annimmt?
Wenn es denn den Rauch gegeben hat, der am Boden blieb….
hat er ihn richtig gedeutet?
Wie oft fühlen sich Geschwister verschieden und ungerecht behandelt von Eltern, Verwandten, Lehrern.
Sie nehmen etwas als Benachteiligung wahr,
ohne dass es so sein muss.
Es entstehen Emotionen wie Eifersucht, Missgunst, Neid -
lebenslange Verhaltensmuster,
die die Beziehung zwischen Menschen stark belasten können.
„Kain ergrimmte sehr und senkte finster seinen Blick“
III.
Und wenn Gott Kains Opfer tatsächlich nicht gnädig annahm:
Warum macht Gott Unterschiede?
Beide Brüder haben tüchtig gearbeitet als Schäfer und als Ackermann,
mit ihrem Opfer zeigen sie sich dankbar für die Produkte ihrer Arbeit…
In einer Familie ist ein Bruder ein Leben lang erfolgreich,
alles gelingt ihm,
der andere erkrankt an einer schweren Krankheit und stirbt schließlich…
Warum? Womit haben sie das unterschiedliche Schicksal verdient?
„Der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer,
aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“
Die Frage nach dem Warum wird nicht gestellt…
„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken,
und meine Wege sind nicht eure Wege, “ spricht Gott bei Jesaja (55, 8)
Gott lässt sich nicht vereinnahmen von seinen Geschöpfen.
Umgekehrt haben die Menschen die Freiheit, zu handeln und zu entscheiden.
In einem riesigen Deckenfresco hat Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom
„die Erschaffung Adams“ dargestellt.
Gott hat ihm gerade den Lebensodem eingehaucht,
ihre Hände trennen sich,
Adam ist in ein freies Leben entlassen…
…und Kain…. und wir…
Auch wenn Gott die Gefahren kennt, die daraus erwachsen.
Wie ein liebender Vater warnt er Kain vor der Sünde,
die nach dir Verlangen hat; du aber herrsche über sie.
Eifersucht, Neid, Wut sind Emotionen, die den Menschen ausmachen,
es geht darum, sie zu beherrschen.
Mord wäre Sünde, das macht Gott klar.
IV.
Trotzdem: „…als sie auf dem Felde waren,
erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.“
So heißt es ganz lapidar.
Warum lässt Gott den Mord zu?
Abel fand doch mit seinem Opfer Gefallen vor Gott
…. und zahlt dafür mit dem Leben?
Abel ist unschuldiges Opfer,
er bleibt stumm wie die vielen Opfer.
Der Anschlag auf die Synagoge in Halle:
Aus Wut über das Scheitern seiner ursprünglichen Mord-Pläne
erschießt der Täter zwei unschuldige und unbeteiligte Menschen,
die ihm zufällig begegnen.
Warum ließ Gott das zu
und das viele Leid auf der Welt?
Gott lässt den Menschen die Freiheit,
auch die Freiheit, der Sünde zu erliegen,
oft mit schlimmen Folgen.
Abel das unschuldige Opfer –
Gott sieht ihn und führt Kain die Schwere seiner Tat vor Augen:
Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.
Gott stellt die Frage nach der Verantwortung: Wo ist dein Bruder Abel?
Kains Antwort klingt ganz schön zynisch:
Soll ich meines Bruders Hüter sein?
Hier schwingt die Frage mit: Warum hast du, Gott, es zugelassen?
So fragen auch wir immer wieder.
Aber so leicht dürfen auch wir es uns nicht machen:
Es geht um unsere Verantwortung gegenüber dem Nächsten,
damit er kein Opfer wird.
V.
Wie hätten wir Kain für seine Tat bestraft?
Wäre die Todesstrafe nicht mehr als angemessen?
Hat ein Mörder nicht auch sein Leben verwirkt?
Wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden, sagt Gott.
Er verurteilt, dass Menschen als Strafe für einen Mord getötet werden.
Die Todesstrafe soll siebenmal härter bestraft werden!
Gottes Urteil lautet auf Verbannung, Armut und ein unstetes Leben -
lebenslänglich, zu schwer, als dass ich sie tragen könnte“, meint Kain.
Er sieht keine Zukunft für sich.
Aber Gott lässt Kain nicht fallen.
Er kann ein neues Leben anfangen, eine Familie gründen
im Lande Nod, jenseits von Eden.
Kain kann weiterleben mit seiner Schuld,
sie ist ihm auf die Stirn geschrieben als Kainsmal,
als Schutzzeichen, damit er weiterleben kann, bewahrt und geschützt .
VI.
Das ist das tröstliche Ende der Geschichte
von Kain und Abel –
der Geschichte vom ersten Mord und wie die Gewalt in die Welt kam.
Wir alle wissen darum, wie Gewalt bis heute immer wieder neue Gewalt gebiert,
leider nicht nur in Fernsehkrimis.
Die Abfolge von Gewalt und Gegengewalt, Rache, Vergeltung und Ausweglosigkeit
erleben wir gerade schmerzlich in den Ereignissen um Afghanistan.
Die Geschichte von Kain und Abel -
Könnte sie nicht auch ganz anders laufen?
Kain könnte den Blick aufrichten,
in seinem Bruder den Menschen sehen, der sein Leben wie er selbst von Gott bekommen hat.
In ihm Gott und seinen Nächsten und sich selbst lieben.
So zitiert der Schriftgelehrte aus dem jüdischen Gesetz.
Wir hörten es vorhin in der Lesung.
Die Brüder könnten miteinander reden und erkennen,
dass Töten keine Lösung ist, sondern nur zwei Leben zerstört:
das des Ermordeten und das des Täters.
Jesus erwähnt in der Bergpredigt auch die Geschichte von Kain und Abel:
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist „Du sollst nicht töten“; wer aber tötet, ist des Gerichts schuldig.
Ich aber sage euch:
Wer seinem Bruder zürnt, ist des Gerichts schuldig.
Darum: Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dir fällt ein, dass dein Bruder etwas gegen dich hat,
so lass deine Gabe und versöhne dich zunächst mit deinem Bruder.
(So steht es in der Bergpredigt, Matthäus 5, 21-24)
Lass uns aufs Feld gehen, sagt Kain zu Abel.
Seit Jesus müsste die Szene auf dem Feld anders laufen:
als Gespräch über aufgestaute Konflikte,
im Zeichen der Liebe und der Versöhnung.
Soll ich meines Bruders Hüter sein?
Seit Jesus müsste Kains Antwort und die von uns allen anders lauten:
Sorge um den Bruder ist Nächstenliebe ist Verantwortung für den Nächsten.
Im Gleichnis Jesu vom barmherzigen Samariter –
eigentlich vom verantwortungsbewussten Samariter -
gehen der Priester und der Levit achtlos vorüber.
Erst der Samariter übernimmt Verantwortung für das schwerverletzte Opfer des Raubüberfalls.
So geh hin und tu desgleichen, sagt Jesus.
Wir alle haben die Verantwortung –
dafür, dass es möglichst gar keine Opfer gibt.
Kain kann weiterleben – mit seiner Schuld und dem Kainsmal.
Seit Jesu Tod und Auferstehung
und mit der Taufe sind wir Christen mit einem neuen Zeichen versehen,
dem Kreuzeszeichen.
Es soll uns ein Leben lang erinnern:
Aus Liebe hat Gott seinen Sohn in unsere Welt geschickt.
Jesus hat uns Liebe und Versöhnung vorgelebt
und durch seinen Kreuzestod unsere Schuld auf sich genommen.
Nie ist unsere Schuld so groß,
dass nicht Gott neue Türen öffnet.
Amen
Prädikantin Friedegard Brohm-Gedeon
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