Predigt vom 14. Februar 2021

Predigt am Sonntag Estomihi, 14. Februar 2021 9.30 Uhr Johanneskirche Alterlangen
Reihe: Biblische Paare - Thema: Maria und Josef

Der liebende Träumer und das 'Kuckuckskind'

 

18 Mit der Geburt Jesu Christi verhielt es sich aber so: Als Maria, seine Mutter, mit Josef verlobt war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.
19 Josef aber, ihr Mann, der gerecht war und kein Aufhebens mit ihr machen wollte, entschloss sich, sie stillschweigend zu verlassen. 20 Nachdem er das überlegt hatte, siehe, da erschien ihm ein En- gel des Herrn im Traum und sprach: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. 21 Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. 22 Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was vom Herrn durch den Prophe- ten so gesagt wurde (Jesaja 7,14): 23 "Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und man wird ihm den Namen 'Immanu- el' geben", das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.
24 Als nun Josef vom Schlaf aufstand, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. 25 Und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Na- men Jesus. (Matthäus 1, 18-25)

Liebe Gemeinde!

I.

Vor knapp einem Jahr erschien der Roman von Monika Helfer: "Die Bagage". Inzwischen ist er viel besprochen und bekannt. Bagage: französisch das Gepäck - im Süddeutschen eher abschätzig gebraucht: Die Familie mit ihren meist komplizier- ten Verhältnissen. "Bagage" - das, was man so an Herkunft und an Lebensgeschichte mit sich her- umschleppt. Die österreichische Autorin be- schreibt ihre Großeltern mit ihren sieben Kindern - im Bregenzerwald eben auch "die Bagage" ge- nannt.

Typisch: Eines Tages steht der (katholische) Pfar- rer vor dem Haus von Maria und Josef (sie heißen tatsächlich so: Maria und Josef Moosbrugger), und er beginnt, Maria zu beschimpfen. Ob sie wirklich glaube, es sei der Herrgott gewesen, der ihr Ge- sicht geformt habe? Die Frauen kämen in den Beichtstuhl zu ihm und fragten: Warum sie, wa- rum nicht ich? So ein Gesicht wachse nicht bei ihnen, nicht hier auf dem Land. Und: „Vom Ge- sicht geht’s dann direkt in den Bauch.“ Maria ist schwanger; Josef, ihr Mann, kämpft im Ersten

Weltkrieg und ist nur wenige Male zu Besuch da- heim. Und da waren die Kriegsumstände, da war jemand - ein Deutscher munkelt man, oder wer auch immer. Niemand weiß es mehr, Maria viel- leicht selbst auch nicht. Und Maria erfährt nicht zum ersten Mal, dass ihre unglaubliche Schönheit dort, wo sie lebt, kein Vorteil ist, sondern Bürde.

Margarete, so heißt das "Kuckuckskind", ist die Mutter der Autorin. Sie ist beileibe nicht das erste Kind der schönen Maria, sondern schon das fünfte. Ein zugetaner Ehemann und liebevoller Vater sei Josef gewesen, zu den restlichen fünf Kindern mindestens, eins kam nach Grete noch dazu. Nur zu Grete habe er kein Verhältnis aufbauen können, lebenslang habe er kein Wort mit ihr gewechselt. Eine typische Szene: Da kriecht die Vierjährige manchmal heimlich zu Maria ins Ehebett, damit Josef nichts merkt - Was für ein Trauma! Grete wird auch das erste der Kinder sein, das dann mit 42 stirbt; die Tochter und Erzählerin ist da 11 Jah- re alt und wird anderswo aufwachsen.

Als ihre eigene Tochter mit 21 Jahren bei einem Unfall ums Leben kommt, setzt bei Monika Helfer der Schreibimpuls ein und gleichzeitig wächst die Einsicht, dass jede Erinnerung und Überlieferung nicht zuverlässig ist. Was war, wird meist ganz unterschiedlich erzählt, und was man erinnern kann, wandelt sich. Erinnern und schreiben, nach- denken und sich ausdrücken - dabei kommt dann nicht mehr heraus, was war, sondern, was wahr ist.

II.

So ähnlich ist es auch bei dem, was wir in der Bi- bel vorfinden, im Alten/ Ersten Testament genauso wie im Neuen/ Zweiten Testament. Auch die Schriftsteller der Bibel haben sortiert und aufge- nommen, was andere vor ihnen und mit ihnen er- zählt haben. Herausgekommen ist kein komplettes Bild, sondern es sind viele Bilder, damit sich weiterhin möglichst viele darin unterbringen.

Dabei werden Geheimnisse berührt. Und es ist gut, sich den Unterschied von Rätsel und Geheimnis vor Augen zu führen: Rätsel sind dafür da, dass sie gelöst werden, und seien sie noch so kompliziert. Gelöste Rätsel sind zumeist nicht mehr interessant, ausgefüllte Kreuzwort-Rätsel wirft man weg. Rätsel werden von außen gelöst, "geknackt". Ein Geheimnis öffnet sich nur von innen. Dann aber beginnt man, es zu verstehen. Und je besser man ein Geheimnis versteht, desto geheimnisvoller wird es.

"Paare in der Bibel" - wir lösen in dieser Reihe höchstens am Rande Rätsel, historische zum Bei- spiel. Wir berühren aber Geheimnisse. Liebenden ist das vertraut. Je besser sie sich verstehen, desto

geheimnisvoller werden sie sich. Und anders her- um: Wenn sie sich nicht mehr gegenseitig geheim- nisvoll sind, dann hört auch das Verstehen auf.

Geheimnisse tragen lebendige Wahrheit in sich. Und das ist etwas anderes als eine "tote Richtig- keit".


Heinrich Waggerl hat einmal gesagt: "Gewisse Dinge verstehe ich nicht mehr, wenn ich sie be- griffen habe."

Und: Was wir Menschen schon nicht wollen und gar nicht können - sollten wir nicht fordern, wenn wir von Gott reden. Viele denken, Gott müsse doch nachprüfbare Richtigkeiten inszeniert haben, damit er glaubwürdig wäre und wir glauben könn- ten! Gott wie ein Rätsel zu knacken, hilft nieman- dem. Er wäre nur ein Gott, den man dann auch entsorgen könnte. Aber seine Geheimnisse zu ver- stehen, ohne sie zu begreifen, bringt weiter.

III.

Maria und Josef von Nazareth - und Maria und Josef Moosbrugger - ein Paar in Nazareth, ein Paar im Bregenzerwald - eine Familie hier, und dort, 1900 Jahre davor - und eine ziemliche "Bagage", die die beiden Familien zu tragen haben.

Eine schöne Frau ist auch Maria aus Nazareth - mindestens auf unseren Altären und Bildnissen (etwa in der italienischen Renaissance), oder im Englischen Gruß in Nürnberg, wo sie in all ihrer Schönheit auch noch ein Buch in der Hand hält, Zeichen für ungewöhnliche Bildung.

Auch Josef Moosbrugger soll ein "fescher Mann" gewesen sein, den viele gerne zum Mann gehabt hätten. Der Zimmermann Josef von Nazareth muss da eher passen - die Tradition hat ihn alt und bärtig gezeichnet. Und in unseren Krippen steht er eher einfach daneben. Ganz selten sind Darstellungen, bei denen er auch einmal das Kind auf dem Arm trägt.

Maria und Josef von Nazareth - aber doch auch ein schönes Paar, denke ich. Und ich stelle sie mir vor wie die attraktiven jungen Paare, die ich bei mei- nen Israel-Besuchen gesehen habe - voller Freiheit und Lebensfreude, die sich gerade bei den Sabbat- Feiern, die ich miterleben oder beobachten konnte, gezeigt haben. Und ich denke, das war damals nicht anders.

IV.

Die Geschichte des schönen Paares aus Nazareth beginnt freilich mit einer ernsten Krise. Das Evan- gelium des Matthäus berichtet davon. "Mit Jesu

Christi Geburt verhielt es sich aber so..." Etwas gewunden kündigt sich die Krise des Anfangs an. Betont sachlich geht es hier zu - nicht wie in der fantastischen Weihnachtsgeschichte des Lukas, die wir kennen.

Von Anfang an ist klar: Es geht gar nicht so sehr um das junge Paar, es geht um die Geburt Jesu, der hier bereits "Christus" genannt wird. Da ver- schränken sich Welten - die menschliche und die göttliche. "Schwanger von dem Heiligen Geist" heißt es gleich am Anfang. Ein Stolperstein für unsere Vorstellung und unseren aufgeklärten Geist. Vielleicht möchten wir diesen Satz gerne als Rätsel verstehen und (ggf. wissenschaftlich be- gründet) abhaken.

Was passiert ist, passiert immer wieder: Ein unge- plantes Kind in nicht geordneten Verhältnissen. Das junge Paar war verlobt, und das kam schon der Heirat gleich, nur: man lebte noch bei den je- weiligen eigenen Familien und noch nicht zusam- men. Die Krise wird verschärft dadurch, dass der Vater nicht bekannt ist. "Ein Kuckuckskind" - hier charakteristisch das erste, bei Maria Moosbrugger das fünfte in der Reihe.

Damals stand auf Ehebruch die Steinigung der Frau, vorangegangen wäre ein öffentlicher Pro- zess. Eine andere Möglichkeit war der Scheide- brief, der aber von zwei Zeugen bestätigt werden musste. Auch dabei wäre Maria in eine völlig un- gesicherte Existenz entlassen worden.

Vieles steht hier nicht, nach dem wir fragen würden, z.B. nach dem Kind oder danach, ob sich die beiden Partner nicht einmal unterhalten hätten oder wer denn die Schwangerschaft als erstes bemerkt hätte. Und Maria kommt hier gar nicht zu Wort, anders als anderswo im Neuen Testament. Aber das alles führt nicht weiter.

Immerhin: Josef überlegt offenbar genau. Ein "ge- rechter und ein frommer" wird er genannt - im Fränkischen würden wir vielleicht sagen: "Ein guter Kerl" ist er, und er scheint seine Frau zu lieben, an ihr zu hängen, trotzdem. Der junge Josef versucht eine Lösung: Er will kein Aufhebens, aber eine Trennung muss sein, also: der Scheide-brief möglichst ohne Öffentlichkeit - auch wenn das vielleicht gar nicht ginge.

Wir alle kennen das - eine angespannte Situation, intensives Nachdenken, schlaflose Nächte, und dann: eine Lösung, die uns aufatmen lässt - aber oft genug nur eine halbe oder keine.

"Nachdem er das überlegt hatte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dei-

ne Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfan- gen hat, das ist von dem Heiligen Geist."

Da wird vielleicht die "bagage" eher noch schwe- rer. Aber Josef folgt dem Wort des Engels. Was das alles mit sich bringt, bleibt unerwähnt. Was Familie und Umfeld denken, ist nicht gesagt. Was gesagt wird, ist, um wen es sich handelt: Diesem Sohn "sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden."

 Noch bevor Jesus, der Retter, aber geboren wird, rettet Josef ihn und seine Mutter. Und als Jesus geboren war, als der König Herodes dem kleinen Kind nach dem Leben trachtet, da rettet Josef Maria und das Kind gleich noch einmal: "Als die Magier aus dem Osten weggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit dir und bleib dort, bis ich es dir sage." Und noch ein drittes Mal wird Josef im Traum einem Engel mit einer Botschaft begegnen, die die kleine Familie zurückbringt in ihre Heimat nach Galiläa.

Welche Grundlage hat Josef für seine Treue und Liebe zu Maria? Was hat er auf der Hand auf sei- ner Flucht nach Ägypten? Was ist seine Versiche- rung für die Zukunft? Nichts – nur ein Traum und im Traum das Wort eines Engels. Nur die Hoff- nung, der Glaube, dass dieser Traum von Gott kommt.

Josef, der Träumer. Und doch der Handelnde, der zupackt, der Verantwortung übernimmt für zwei Menschen, die er mit nicht wenig Aufwand "ret- tet".

V.

Josef der Träumer. Schon einmal gab es einen Jo- sef, den man Träumer genannt hat. Im Buch Gene- sis ist von ihm die Rede, von ihm und seinen Brü- dern. Und auch sein Vater heißt Jakob, einer der Erzväter Israels, so wie auch der Vater des Josef aus Nazareth Jakob heißt. Dieser frühere Josef träumt und macht sich damit bei seinen Brüdern unbeliebt, die ihn nach Ägypten verkaufen. Dort rettet er mit seinen Träumen das Land vor schwe- rer Hungersnot. Und zuletzt rettet er auch noch seinen Vater und seine Brüder und versöhnt sich mit ihnen. "Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen..." (Gen 50, 20) - die Quintessenz dieser grandiosen Josefs-Novelle.

Der Träumer wird zum Retter - das wiederholt sich bei Josef von Nazareth, er wird zum Retter des Retters. Damit sich erfüllen kann, was die drei Namen sagen: Christus, Messias, Jesus - und im Zitat aus dem Jesajabuch: "Immanuel" - "Gott ist mit uns". So lässt sich der "Gott unter uns" von

einem Menschen, von Josef retten, damit er unter uns endgültig Wohnung nehmen kann.

Josef, der Träumer. Für den Erzähler-Evangelisten wiederholt sich die frühe Josefsgeschichte hier. Warum? Nicht, weil es so war, wie wir ein histori- sches Rätsel lösen könnten, sondern weil diese Wiederholungen weitergehen.

Es gab nicht nur einmal einen Herodes, der Kin- dern um der Macht willen nach dem Leben trach- tete; es gibt Herodes an vielen Orten. Sogar in mir selbst: einen Herodes, der das göttliche Kind in mir töten möchte, wie wir psychoanalytisch deuten könnten. Und es wird immer wieder solche Figu- ren geben. Es gab nicht nur einmal einen Josef, der nach Ägypten verkauft wurde und der Ägypter und Kinder Israels gerettet hat. Und es gab nicht nur den weiteren Josef, der mit Maria und dem Kind nach Ägypten floh und zurückkehrte. Und es gibt heute einen dritten und andere - wo auch immer. Auch sie wird man "Träumer" nennen - und sie werden sich als Retter erweisen.

Rainer Oechslen verdanke ich in einer Predigt nach Weihnachten die folgende Begebenheit:
Am Sonntag nach Weihnachten 2001, ein Vierteljahr nach dem Einstürzen der Towers in New York, fand in der Riverside Church New York ein Gottesdienst statt. Mehrere Tausend Menschen waren da; die Predigt ging über die Magier aus dem Osten, und auch über Herodes. Der Prediger machte deutlich, dass die amerikanischen Bomben, die inzwischen in Kabul fielen, ein Verbrechen seien, weil auch dort Kinder sterben. Am Ende sagte er: "Gott befahl den Magiern im Traum, nicht zu Herodes zu gehen, sondern einen anderen Weg in ihr Land zu wählen. So soll es auch bei euch sein. Wenn ihr jetzt hinausgeht, sollt ihr nach dem Gottesdienst einen anderen Weg gehen. Ihr kommt aus einem Land, das verletzt wurde und das mit Bomben antwortet. Wenn ihr jetzt geht, geht einen anderen Weg."

Wohin gehen wir heute, nach dem Gottesdienst?

VI.

Das Ergreifende an diesen Geschichten ist ihre Leichtigkeit inmitten aller Schwere. Was sind Träume? Was ist ein Traum? Zuallermeist weiß ich nicht mehr, was ich geträumt habe. Die Traumdeutung sagt mir, in Träumen verarbeite ich, was mich unbewusst beschäftigt. Wie sollte Gott uns nicht auch unbewusst beschäftigen? Und

sich uns, einem Geheimnis gleich, von innen her- aus öffnen?

In aller Vorsicht erzähle ich etwas von mir. Zwi- schen den Operationen, die ich vor zwei Jahren hatte, litt ich vielfach an Halluzinationen, die von den Schmerzmitteln herrührten. Das waren Flash- backs, die Angst machten und andere Welten ein- spiegelten. Aber dazwischen, kaum erinnerbar, gab es ganz zarte Begebenheiten, bruchstückhaft kurz, Bruchteile von Sekunden, Träumchen vielleicht, von denen nur noch gleichsam homöopathisch die Information oder das Feeling übrig war. Und diese Information sagte: Du bist geborgen.

Man kann nicht sagen: Gott offenbart sich da und dort im Traum. Aber der oder die, die, der die zarten Berührungen gespürt hat, kann es.

VII.

Bleibt uns am Ende noch ein harter Brocken, da- mit niemand sage, wir hätten ihn übersehen.
Der Engel sagt im Traum zu Josef - und das ist ja auch das Kardinalproblem des schönen "hochheiligen Paars": "Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist."

Der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel hat dazu ganz lapidar und mit dem ihm eigenen Augen- zwinkern gesagt, man müsse unterscheiden, dass das von einem Engel und nicht von einem Gynä- kologen gesagt ist. Gynäkologen geben Diagno- sen, Engel unterbrechen unsere Wirklichkeit.

Die einen lösen Rätsel, damit Menschen mit Lö- sungen leben können; die anderen wahren Ge- heimnisse, damit wir mit ihnen weiterleben und im Verstehen wachsen können.

In meinem ersten theologischen Semester hatten wir eine Bibliotheksführung in der Alten Kirchen- geschichte. Der Professor zeigte uns mit einem wissenden Lächeln eine ganze Bücherwand mit antiken Quellenbänden und sagte süffisant: "Und übrigens da drin stehen dann gleich ein paar Tau- send Jungfrauengeburten überliefert." Einige von uns Jungen waren froh damals, ich auch, dass ich diese Hypothek als zeitbedingtes Rätsel gelöst betrachten konnte. Und lassen wir das auch ein- fach mal so stehen.

Wir erfahren hier mit Josef nochmals etwas ganz Anderes. In der Antike wurden Heroen und andere Personen durch so etwas wie die Jungfrauengeburt aus der Niedrigkeit des Erdenlebens herausgeho- ben in göttliche Sphären. Und viele verstehen das bei Jesus ähnlich. "Empfangen von dem Heiligen Geist" - das ist aber im Grunde das genaue Gegen-

teil. In der Bibel wird immer wieder und ganz un- terschiedlich erzählt, dass Gott sich uns zuwendet, dass er uns, manchmal, kürzer oder länger, beglei- tet, den einen mehr, die andere gar nicht.

Aber da ist eben viel mehr. Im "Kuckuckskind" legt sich Gott ins Nest der Menschheit.

Die drei Namen unseres Abschnitts aus Matthäus sagen es: "Christus - Jesus - Immanuel" - in die- sem Kind unterbricht Gott den Kreislauf unserer Welt, den wir so verteidigen wie die Lösungen von Rätseln. "Immanuel" - Gott ist mit uns - das denkt Gott jetzt in Maria und dem Kind radikal. Mag sein, dass uns das ängstigt oder aber gar nicht ge- fällt. Könnte doch sein, dass uns das zu nahe wäre.

Leider haben wir keine Wahl mehr - so wie es das schöne Wiener Chanson singt: "Die Wiener muss man gar nicht erst in Stimmung bringen. Sie sind's ja schon, sie sind's ja schon."

So ist es auch mit dieser Nähe Gottes. Wir sind's ja schon. Er ist's ja schon.

Ob mit oder ohne Jungfrauengeburt - ist dann ohne jede Bedeutung. Denn dass Gott schon unter uns ist, ist ein Geheimnis, mit dem ich mein eigenes Leben verstehen lernen kann mitsamt der "bagage", die mir und dir auferlegt ist.

Geheimnisse werden nicht biologisch verstanden, sondern in lebenslangem Ringen - und manchmal ist da ein zarter Traum, oder ich erkenne, dass da ein Engel war. Manchmal übersehe ich ihn, manchmal habe ich den Traum vergessen. Manchmal erkenne ich, was zu tun ist, was wahr ist, was mich hält und leben lässt.

So wie Maria und Josef.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Ver- nunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Pfr. Christoph Reinhold Morath

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