Predigt 1. Sonntag nach Epiphanias, Römer 12, 1-8
Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.
2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.
3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt, sondern dass er maßvoll von sich halte, wie Gott einem jeden zugeteilt hat das Maß des Glaubens.
4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben,
5 so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied.
6 Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand prophetische Rede, so übe er sie dem Glauben gemäß. 7 Hat jemand ein Amt, so versehe er dies Amt. Ist jemand Lehrer, so lehre er.
8 Hat jemand die Gabe, zu ermahnen und zu trösten, so ermahne und tröste er. Wer gibt, gebe mit lauterem Sinn. Wer leitet, tue es mit Eifer. Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude.
Liebe Gemeinde!
Was braucht es, um einem anderen Menschen eine Freude zu machen? Eine Idee, unbedingt. Und dann? Unseren Leib. Ja, unseren Leib braucht es, um einem anderen Menschen eine Freude zu machen. Den Kehlkopf und die Stimmlippen und das Zwerchfell und die Lunge und die Zunge – alles zum Singen – heute hier uns zur Freude, Gott zum Lob. Unseren Leib braucht es, um einem anderen Menschen eine Freude zu machen: Die Finger, die einen Stern ausschneiden, die Augen, die die Finger kontrollieren, die Nervenbahnen, die alles koordinieren. Die Hände, die den Stern in den Umschlag stecken, die Füße, die ihn austragen an Senioren unserer Gemeinde.
Ja, um einem Menschen eine Freude zu machen, braucht es den Kopf für die Idee und den Leib für die Ausführung.
Genau das ist gemeint, wenn Paulus schreibt, dass wir unsere Leiber hingeben als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer. Dieses Wort „Opfer“ ist über die Jahrtausende zu stark aufgeladen worden. Und hat eine zu negative Bedeutung erhalten nach Verzicht und Entsagung, ja nach am Boden liegen, Jugendliche beschimpfen sich als „Du Opfer!“. Das alles meint Paulus überhaupt nicht. Wir müssen uns klarmachen:
Als dieser Brief entstand, da gab es noch in der ganzen Antike Opfer. Paulus kennt es von klein auf, aus Kleinasien, aus Jerusalem, aus Korinth. Und auch die Leute in Rom, an die er schreibt, kennen das Opferwesen. Rinder, Schafe, Ziegen, Vögel, in Rom und Griechenland auch Schweine werden im Festzug gebracht und geschlachtet. Das Gequieke, Gebrüll, Gekreische will ich mir gar nicht vorstellen und den Geruch oder besser Gestank auch nicht. Es gab auch Brot und Früchte als Opfer – schon eine etwas angenehmere Vorstellung.
Paulus kennt das antike Opferwesen. Aber er setzt sich hier nicht damit auseinander. Er gebraucht das Wort fast nebenbei. Es geht ihm um einen wichtigen Aspekt auf: Das ist der Aspekt der Hin-gabe. Opfer – das heißt immer: ganz und gar. Mit Haut und Haar sozusagen. Oder eben mit Kopf und Körper – es ist wirklich hier der Leib angesprochen und gleich danach der Geist: der vernünftige Gottesdienst. Mich beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit Paulus das antike Opferwesen hinter sich lässt, für Christenleute ist das nicht mehr relevant.
Wenn wir einem anderen Menschen eine Freude machen, dann gehören da Kopf und Herz und Hand und Fuß dazu. Ganz schlicht.
Halt, wie kommen jetzt die anderen Menschen ins Spiel? Geht es nicht um Gott?
Wir kriegen Gott nicht ohne seine Menschen. Und, auch umgekehrt ist es richtig: Wir werden den Menschen nicht gerecht, wenn wir ihnen ohne Gott begegnen.
Wer hier genauer forschen will, dem empfehle ich das ganze Kapitel 12, oder besser noch Kapitel 12 bis 14 des Römerbriefes.
Ich möchte jetzt noch über Anderes nachdenken.
Paulus ermahnt. „Ich ermahne euch“ – das deutsche Wort klingt leider ganz anders als das griechische Wort. Im Griechischen schwingt das „Trösten“ mit. in Vers 8 hat deshalb das eine Wort eine doppelte Übersetzung gefunden „ermahnen und trösten“ heißt es da. „parakaleo“ – heißt es eben, wer sich auskennt, hört den Parakletos da, den Tröster, den Heiligen Geist.
Was ist tröstlich daran, wenn Paulus uns auffordert, mit Haut und Haar, mit Geist und Leib Gott und den Menschen Freude zu machen?
Ganz einfach: Wir werden gebraucht. Wir sind wichtig. Wir gehören zu Gottes neuer Welt, zu Gottes neuer Zeit und wir können unseren Teil dazu beitragen. Und das macht zufrieden. Ich erlebe das bei Jugendlichen, die sich für das Gute in Anspruch nehmen lassen, dass sie stark sind und selbstbewusst und ihren Weg finden – auch wenn zum jung sein immer Umwege dazu gehören. (Und ich erlebe leider auch das Gegenteil, dass Jugendliche ihre Aufgabe nicht finden, sich für nutzlos halten und dann ganz übel abgleiten können.)
Wir werden gebraucht. Wir sind wichtig. Wir gehören zu Gottes neuer Welt, zu Gottes neuer Zeit und wir können unseren Teil dazu beitragen.
Für manche hier mag dieses Wissen mit einem Gefühl der Überforderung einhergehen. Es gibt ja viele sensible Menschen mit offenen Augen und offenem Herzen und wachem Sinn und vielen Fähigkeiten und gerade die wissen manchmal nicht, wo anfangen und wo aufhören. Da verknotet sich der Klimawandel und der Bettler vor dem Bahnhof und die Anfrage nach Gemeindebriefaustragen und die Bitte um Nachbarschaftshilfe zu einem inneren Knäul, das auch nicht guttut. Dieser Überforderung aber setzt Paulus zwei Stopps entgegen:
1. Dieses Maß. „dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt, sondern dass er maßvoll von sich halte, wie Gott einem jeden zugeteilt hat das Maß des Glaubens“ So wie es hier steht, ist es ja fast missverständlich, so nach dem Motto: „Halte wenig von dir!“ Aber nein, das ist nicht gemeint! Es ist ein erster Stopp vor der Überforderung: Gott hat mir und dir Gaben gegeben. Ein bestimmtes Maß. Und das nutzen wir. Das reicht. Niemand muss singen, wenn er oder sie es nicht kann. Niemand muss basteln, der zwei linke Hände hat. Ich muss nicht Orgel spielen und ich muss nur ganz wenig singen.
Es gibt die schöne Geschichte aus dem chassidischen Judentum:
Vor dem Ende sprach Rabbi Sussja: “In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: ‘Warum bist du nicht Mose gewesen?’ Man wird mich vielmehr fragen: ‘Warum bist du nicht Sussja gewesen?’“ [Buber, Erzählungen, 394]
Das schützt mich immer wieder vor Überforderung. Ich werde nicht gefragt werden „warum bist du nicht Hildegard von Bingen, Theresa von Avila … gewesen?“ Ich werde gefragt werden: „Warum bist du nicht Bianca Schnupp gewesen?“
Mit dem was ich kann, den Menschen und so Gott eine Freude machen. Also, das ist der erste Schutz vor Überforderung: Dieses Maß, das Gott mir zugeteilt hat.
Und der zweite Schutz: Wir sind nicht alleine unterwegs. Die konkreten Beispiele, die der Paulus nun aufführt, die sind erstmal alle aus dem Zusammenleben der Gemeinde. Ich muss nicht alles machen. Tatsächlich buchstabiere ich das immer wieder als Anfängerin. Dass ich mich traue, zu fragen. Dass ich darauf vertrauen lerne, dass auch andere etwas tun. Gut sowieso. Und auch gerne.
Die Briefe an die Senioren waren so eine Gemeinschaftsarbeit. Am Ende hat auch noch ein Senior selbst die Briefe ausgetragen, die die Präparanden nicht mehr geschafft hatten…
Oder: Als ich in der Kinderklinik als Pfarrerin tätig war, klagte ich in einem Brief einer Diakonisse mein Leid. Sie hatte mich gefragt, wie es mir geht. So viele schwere Schicksale, die da zu begleiten sind. Und ich sagte: Ja, das stimmt. Aber ich bin für jede Familie froh, die ich begleiten kann. Was mir eine besondere Last aber ist: Ich weiß immer, wenn ich heimgehe, wo ich nicht war. Ich weiß immer, was ich nicht getan habe, wen ich nicht besucht habe, was ich nicht geschafft habe. Die Diakonisse schrieb mir ganz nüchtern zurück: „Sie haben auch noch andere Aufgaben im Leben, ihre Familie zum Beispiel. Und Gott hat viele Möglichkeiten, Menschen zu besuchen.“ Stimmt – da hatte sie doch einfach recht!
Wir sind nicht alleine unterwegs, wir wirken zusammen wie die Körperteile zusammenwirken. Um Menschen eine Freude zu machen, unseren Kopf für die Ideen und unseren Leib für die Ausführung…
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Dr. Bianca Schnupp, Pfarrerin
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