Predigt vom 13. September 2020

14. Sonntag nach Trinitatis     13. September 2020
Predigt Johanneskirche Erlangen

 

Lukas 19, 1-10
1 Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

 

I Verlieren, Suchen, Finden
„Murkel ist wieder da!“ So heißt eine Bilderbuchgeschichte, 
meine Kinder wollten sie früher immer wieder hören und anschauen:
Es geht darin um einen kleinen Jungen und sein liebstes Spielzeug,
einen Schimpansen.
Überall ist Murkel dabei,
auch als die Mutter mit dem Jungen einen Fahrradausflug macht.
Ein Gewitter zieht auf, die beiden beeilen sich nach Hause zu radeln,
dabei verlieren sie im aufziehenden Regen unbemerkt den kleinen Schimpansen.
Die Trauer um den verlorenen Murkel ist groß,
alles Suchen vergeblich.
Die Bilderbuchbetrachter erfahren das Schicksal des Stofftiers:
Es landet in einer Baumhöhle bei den Mäusen,
danach bei einer Igelfamilie,
es wird von einer Elster mit dem Schnabel ins Nest gezerrt
und fällt schließlich arg zugerichtet in einen Weiher.
Ein Angler bekommt Murkel an den Haken,
fischt das tropfende Bündel aus dem Wasser.
Er ist auch Puppendoktor
und richtet den Schimpansen aufwändig und liebevoll wieder her.
Der kleine Junge entdeckt ihn eines Tages im Schaufenster der Puppenklinik
und darf schließlich den verloren geglaubten Murkel glücklich wieder in seine Arme schließen.
Murkel ist wieder da - eine anrührende Geschichte,
meine Kinder liebten sie.
Sie gab ihnen ein Stück Urvertrauen, dass nichts ganz verloren geht.
Auch in unserem Predigttext geht es ums Verlieren, Suchen und Finden.
Allerdings: Der kleine Schimpanse mit dem stets lachenden Gesicht ist ein  Spielzeug,
er „erleidet“ das Geschehen passiv.
Wir leben unser Leben mit Sinn und Verstand und mit freiem Willen
 – und können uns dabei verloren vorkommen, gar verloren gehen.
 

II Leben heißt schuldig werden
Wir leben unser Leben - wie der reiche Oberzöllner Zachäus.
Er hat von der Finanzverwaltung einen bestimmten Steuerbezirk gepachtet
und treibt dort für den römischen Staat von den Bürgern Zölle und Steuern ein
 – mit einer Gewinnspanne, es ist ja sein Broterwerb.
Da der Bezirk groß ist,
sucht er sich Mitarbeiter und schließt mit ihnen „Werkverträge“ ab,
so kann er seine Zolleintreiber billig für sich arbeiten lassen und reich werden…
Wir leben unser Leben - wie der Geschäftsführer einer großen Warenhauskette.
Er streicht trotz Finanzkrise einen satten Jahresbonus ein,
wohl wissend, dass seine MitarbeiterInnen auf das Weihnachtsgeld verzichten müssen.
Wir leben wie dieses junge Paar. Es bucht eine WE-Reise per Billig-Fluglinie,
so bleibt fürs Shopping und für den Ausgeh-Abend noch was übrig.
Wir leben wie so viele.
Bei der Steuerklärung oder Fahrtkostenabrechnung wird hier und da zu den eigenen Gunsten manipuliert.
Wir leben wie Zachäus.
Wir leben auf großem Fuß,
manchmal auf Kosten der anderen,
der Textilarbeiterin in Bangladesch, des Kaffeebauern in San Salvador,
des Flugbegleiters bei Ryan Air, des Steuerzahlers oder der Versicherung.
Liebe Gemeinde, im Alltag, im Beruf, gegenüber unseren Mitmenschen -
auch wir werden immer wieder schuldig,
wir sind Verlorene – wie Zachäus.
 

III Suchen und Sehn-Sucht
Zachäus begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre,
Jesus, diesen Wanderprediger,
der Menschen heilt und vom nahen Reich Gottes predigt.
Zachäus ist auf der Suche…
Viele sind auf der Suche. …
Dieses hektische Leben – es kann doch nicht alles sein.
Alles dreht sich um Geld, um das nächste Schnäppchen,
um den eigenen legalen oder illegalen Vorteil,
um den lukrativen Job…
Es muss doch noch etwas anderes geben….
Viele fühlen sich verloren, sind auf der Suche:
nach Wertschätzung, Nähe, Liebe,
nach Schutz und Halt, Geborgenheit
nach dem Verlorenen oder nach Ersatz für Verlorenes.
Zachäus sucht.
Wegen seiner Körpergröße hat er es schwer, an Jesus heranzukommen,
aber mit dem Maulbeerfeigenbaum weiß er sich zu helfen.
Jesus ist auf der Suche.
Er lädt sich zu dem Mann auf dem Maulbeerfeigenbaum nach Hause ein!
Nicht alle gönnen Zachäus diese Freude.
Bei einem Sünder ist er eingekehrt…  
Die Kritiker „murrten“,
sie waren wohl aus dem Umfeld der Pharisäer,
die für sich in Anspruch nehmen, streng nach dem Gesetz zu leben.
„Sünder“ waren für sie die anderen, oft Frauen, Witwen, Randgruppen, Zöllner….
Den sprichwörtlichen Pharisäern entzieht Jesus den Boden.
Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“, sagte Jesus im Fall der Ehebrecherin.
Auch Zachäus ist,   auch wir sind,   nicht ohne Sünde,
aber Jesus ist bei ihm zu Gast!
 

IV Gefunden und Finden
Zachäus und Jesus haben sich gefunden!
Ich wäre zu gerne dabei im Hause des Zachäus,
aber der Evangelist Lukas schweigt sich leider darüber aus…
Die Begegnung mit Jesus muss in Zachäus etwas bewirkt haben:
Die Hälfte seines Besitzes will er den Armen geben,
(„fromme“ Juden gaben üblicherweise ein Fünftel für die Armen).
Begangenen Betrug will er vierfach wiedergutmachen…
Sein Leben folgt nun anderen Maßstäben,
sein Verhältnis zu materiellen Werten und zu Besitz hat sich verändert,
seine Einstellung zu den Mitmenschen, zu dem, was im Leben wichtig ist.
Jesus hat einen Verlorenen gefunden.
Steigen wir auch auf den Maulbeerfeigenbaum?!
Lassen wir uns auch von Jesus finden?!
Jesus sieht nicht nur die in der ersten Reihe.
Sein Ruf gilt allen: „Ich muss heute in deinem Haus einkehren“.
„Welt ging verloren, Christ ist geboren“, so singen wir an Weihnachten.
Gott hat seinen Sohn geschickt aus Liebe zu uns Menschen.
Die Liebe ist Jesu Auftrag.
Wenn wir die Liebe als Maßstab übernehmen,
können wir mit Zachäus ins Nachdenken kommen und einiges ändern:
Ca. 900 Millionen Menschen leben weltweit in extremer Armut.
Überall sind die Armen am meisten vom Klimawandel betroffen,
die meisten Corona-Toten gibt es weltweit unter den Armen.
Die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen“, sagt Zachäus.
Umverteilung ist das Gebot unserer Zeit,
jeder kann im Kleinen dazu beitragen, es muss nicht die Hälfte sein.
Es gibt viele gute Beispiele:
Eine unbekannte Frau hat der Diakonie Hannover einen Goldbarren im Wert von
26 400 € für die Arbeit mit obdachlosen Menschen gespendet. –
So las ich es im Sonntagsblatt.
Die ältere Dame sei spontan vor der Tür des Diakonischen Werks erschienen und habe einer Mitarbeiterin einen Umschlag mit der Spende in die Hand gedrückt.
Wir wissen nicht, welche Geschichte sich dahinter verbirgt, aber es ist eine großzügige Gabe.
Ein Mann kam vor kurzem ins Kundenbüro der Erlanger Stadtwerke
und übergab den staunenden Angestellten 800 €.
Er war vor 19 Jahren regelmäßig schwarz zur Schule gefahren.
Jetzt, wo es seine wirtschaftliche Situation zuließ,
beglich er seine Schulden – eine vorbildliche Geste.
Uns allen steht das niedergebrannte Flüchtlingslager in Moria vor Augen.
Wenn wir das Evangelium ernst nehmen,
müssen wir aus barmherziger Liebe und aus Dankbarkeit
in weitem Ausmaß Gastgeber werden.
Es ist wie bei Zachäus,
andere tragen die Kosten für unser gutes Leben.
So kann es nicht weitergehen, viele spüren das.

V Gefunden und selig
Wie Zachäus sieht Jesus uns mit den Augen der Liebe,
uns, die wir alle Sünder und Verlorene sind,
Jesus sucht uns und macht uns gerecht und selig.
„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“ (Jer. 29, 13/14)
Werden wir fündig auf unserer Suche:
Was wir so suchen, finden wir bei Jesus:
Wertschätzung, Nähe, Liebe,
Schutz und Halt, Geborgenheit.
Wenn wir das von Jesus dankbar empfangen,
können wir es auch an unsere Nächsten weitergeben.
Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Von Jesus gefunden werden,
nach seinen Maßstäben leben,
macht selig, glückselig, hier in unserem Alltag.
Jesus ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Jesus meint auch die ewige Seligkeit am Ende aller Tage …
Von Jesus gefunden werden, den Glauben an ihn finden –
das ist ein großes Geschenk,
für das wir einfach selig danken können.  -----
Es geht auch erst einmal eine Nummer kleiner - wie bei dem verlorenen Schimpansen:
Wir können darauf vertrauen, dass nichts ganz verloren ist.
Amen
Prädikantin Friedegard Brohm-Gedeon
 

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