Predigt vom 17. Oktober 2021

Predigt

Pfarrerin Ulla Knauer

20. Sonntag nach Trinitatis (17.10.2021)

Predigt zu Prediger Salomo 12, 1-7

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

  1. Einleitung

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (aus Psalm 90)

Vielleicht haben Sie dieses Psalmwort schon einmal gehört oder gelesen.

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Man könnte den Predigttext, den ich gleich noch bespreche, mit diesem Vers zusammenfassen, oder ihm diese Überschrift geben.

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Bevor wir uns dem Predigerbuch widmen, möchte ich eine Erfahrung an den Anfang stellen: Diesen Vers hat einmal ein Konfirmand von mir ausgewählt. Ungewöhnlich für einen 14-jährigen Jungen. Doch der Junge war ohnehin ungewöhnlich. Ganz allein, ohne jegliche Unterstützung aus dem atheistischen Elternhaus hat er sich zum Konfirmandenunterricht angemeldet. Ganz allein ist er jedes Mal gekommen und hat keine Stunde versäumt. Ganz allein hat er die Gottesdienste besucht. Ganz allein hat er die Lieder, wie einen Schatz gehütet und in seinem Zimmer gesungen. Ganz allein – er war noch nicht getauft – hat er vor dem Team erklärt, dass er nicht wisse, wie er seine Konfirmation organisieren soll und sich bloßgestellt. Ganz gerührt hat sich eine Gemeinde und eine Nachbarschaft hinter den Jungen gestellt, und die Taufe und Konfirmation – wieder ohne Unterstützung aus seiner Familie   - mit ihm gefeiert, die ganze Schulklasse kam, es war ein Fest, in einer neuen Familie. Und dieser Junge, der wohl schon viel erlebt hat in seinen 14 Jahren, nicht nur Gutes, hat diesen Spruch als Konfispruch erwählt: Lehre mich bedenken, dass ich sterben werde, auf dass ich klug werde. Dieser Junge wusste, wie wertvoll sein Leben war. Er hatte Gott gefunden, und wusste um jenes Geschenk.

Durch die Gottesbegegnung, hat in dem Jungen ein Nachdenken angefangen, das ihn weiterbrachte. Auch wir sind heute zum Nachdenken über unsere Grenzen eingeladen.

  1. Prediger 12, 1-7, Erläuterung der Bild-Symbolik

Der Predigttext ist ein schwieriger, rätselhafter Text im Buch Prediger aus dem Alten Testament im 12. Kapitel. Es passt ein wenig zum Herbst, vielleicht macht der ein oder andere von uns an langen Regentagen dann doch das Kreuzworträtsel in der Zeitung und sucht nach der Lösung. So ähnlich muss man hier den Text entschlüsseln, der in Bildsprache wie ein Gedicht zu uns spricht, bloß dass es in der deutschen Übersetzung sich nicht mehr reimt. Ich lese den recht langen Text in Abschnitten:

Denk an dein Grab (deinen Schöpfer) in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«;

Wer den Text schon auf dem Gottesdienstblatt gelesen hat, wird vielleicht irritiert sein, wie ich begonnen habe: Denk an dein Grab in deiner Jugend!

In anderen Übersetzungen heißt es: Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend!

Im hebräischen gibt es beide Bedeutungsmöglichkeiten. Da der ganze Text aber von einer Mahnung an die eigenen Endlichkeit spricht, kann man hier von Grab sprechen: Also Denk an deine Endlichkeit, auch wenn Du noch jung bist! Kein schöner Gedanke. Und doch ja richtig: Wer es tut, hat sich schon mal Gedanken um Patientenverfügung, Organspende, den letzten Willen gemacht.

Bevor die bösen Tage kommen, Sie gefallen mir nicht.

Eine pessimistische Sicht auf das Alter. Schade eigentlich, dass der Verfasser hier so einseitig die Negativplatte auf das Alter wirft. Ja klar, ist man nicht mehr so schnell, können Krankheiten plagen. Aber ich kenne auch 85-Jährige, die lachend in einer Runde sitzen und aktiv sind. Schauen wir mal weiter: Den Anfang muss man nun immer mitdenken:

(Denke an dein Grab in der Jugend)

2 ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, –

Es wird kriminalistisch: Erste möglich Todesursache: Weltuntergang, Ende der Welt. Das Licht verlischt, oder die Welt wird überflutet.

Wieder geht es weiter, jetzt präzisiert der Verfasser, wann man sagt: Die Zeit gefällt mir nicht. Der Körper gleicht im Gedicht nun einem Haus:

 

(Es wird mir nicht gefallen)

3 zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern                        (Arme und Hände zittern)

und die Starken sich krümmen                                              (Beine und Rücken)

und müßig stehen die Müllerinnen,

weil es so wenige geworden sind,                                         (Zähne fallen aus, kein

Zahnarzt zu jener Zeit)

wenn finster werden, die durch die Fenster sehen,               (Augen sehen schlechter)

4 wenn die Türen an der Gasse sich schließen,                     (Ohren werden taub)

dass die Stimme der Mühle leise wird                                   (Zunge wird schwächer, Stimme leiser)

 

Weiter gehen die Gedanken  des Predigers, um die Zeit, in der der Mensch unfreiwillig  eingebunden ist:

und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt,

und alle Töchter des Gesanges sich neigen;

Der Mensch ist eingebunden in Tag und Nacht: Muss früh aufstehen und an die Arbeit gehen, wenn man den ersten Vogel singen hört, und ist an die Nacht gebunden, in der die Vögel schweigen.

5 wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege,

wenn der Mandelbaum blüht

und die Heuschrecke sich belädt

und die Kaper aufbricht;

Wieder ist der Mensch eingebunden in die Zeit – unfreiwillig, diesmal landwirtschaftlich: Angewiesen und eingebunden in die Jahreszeiten: Die Blühte des Mandelbaums im Frühling, die Heuschrecke im Sommer, die Kapernernte im Herbst. Strengen Winter kannte der Verfasser wohl klimatisch nicht.

denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt,

und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; –

Hier fragt der Prediger, was bringen Tag und Nacht und die Jahreszeiten, wenn man nicht wie die Natur wieder neu beginnt, sondern eh sterben muss und die Beerdigung folgt.

6 ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht

 und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt.

Jetzt wird es konkret: Wie kann der Tod eintreten: Plötzlich, wie wenn ein aufgehangenes Licht, man kann sich eine Art Laterne vorstellen, herunterfällt und in einem Moment aus ist.

Oder aber leider auch gewaltsam, wie wenn ein Rad zerbricht. Gemeint war hier die Aufhängung, die über einem Brunnen angebracht war, womit der Schöpfeimer befestigt war und hochgezogen werden konnte. Fällt es herunter in einen tiefen Brunnen, ist es nicht wiederherstellbar. Gemeint ist wohl eine schwere Verletzung, die zum Tod führt, ein Unfall, ein Tod im Kampf.

Es folgt das Schlusswort zu dieser Bibelpassage:

7 Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen,

wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.

Was ist der Mensch: Staub und Geist. Beides kehrt wieder zurück zum Ursprung.

  1. Ein geschärfter Blick hilft, aber wie?

Liebe Gemeinde!

Nach diesem Marathon durch die alttestamentliche Bildsprache und Poesie, könnte man nun recht pessimistisch zurückbleiben. Man fragt sich als Leser: Wozu das ganze? Ist das eine Rede eines Depressiven? Ist alles umsonst. Ja wir werden alle sterben? Aber ist deswegen alles wertlos, nur weil sich an jedem Tag Morgen und Abend wiederholt, und jedes Jahr die Jahreszeiten? Ja, es ist richtig: Es gibt Sterbefällt, die wir nicht verstehen.

Aber wie hilft mir, wie hilft Ihnen der geschärfte Blick auf die Sterblichkeit, Gebrechlichkeit und Endlichkeit im Leben. Ich glaube, dieses poetische Stück, ist wie ein Praktikum im Krankenhaus. Wer einmal mehrere Tage und Wochen in einem Krankenhaus oder einem Pflegeheim verbracht hat, hat einen geschärften Blick für die Widrigkeiten, mit denen sich viele Menschen plagen müssen. Da ist der Junge mit Muskelschwund, der sterben wird, bevor er erwachsen werden sollte. Da ist die Patientin mit Leukämie und kaum Hoffnung. Da ist ein Mädchen, das ohne Arme geboren wurde, und sich selbst erfinden muss. Da ist der Schlaganfallpatient, der seine Sprache und Bewegung neu erlernen will und noch nicht weiß, was verloren bleibt. Und trotzdem rennen Angehörige, Ärzte, Schwestern nicht davon. Zum Glück rennen sie nicht davon, sondern bleiben dort. Und bleiben Menschen, bleiben lebensbejahende Menschen, trotz ihres enormen Wissens um das Risiko im Leben.

Ist dieses Wissen also am Ende eine Chance? Das Wissen um mögliche Gebrechen im Alter, eine Chance das Hier und Jetzt wahrzunehmen?

Blättert man in der Bibel ein Kapitel vor, merkt man, dass unserem Predigttext noch 2 Verse vorgeschaltet sind, die leider nicht mit ausgewählt wurden. Aber es lohnt sich hier nachzuschauen: Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend, / sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren! Geh auf den Wegen, die dein Herz dir sagt, / zu dem, was deine Augen vor sich sehen! Und sei dir bewusst, dass Gott über all dies mit dir ins Gericht gehen wird! 10 Halte deinen Sinn von Ärger frei / und schütz deinen Leib vor Krankheit; / denn die Jugend und das dunkle Haar sind vergänglich!

Geh auf den Wegen, die dein Herz dir sagt! Halte deinen Sinn von Ärger frei!

Deine Zeit ist begrenzt.

  1. Frage nach dem Lebensweg / Kompass

Das zusammen, macht Sinn. In all seinen drastischen Bildern, wir könnten eigene Bilder aus Krankenhäusern und Fernsehreportagen hinzufügen, fordert uns der Predigttext auf, über das eigene Leben nachzudenken. Macht mein Leben, so wie ich es führe, Sinn? Höre ich Gottes Stimme im Herzen? Oder bin ich von Ärger abgelenkt? Habe ich wertvolle Tage? Oder verliert sich die Zeit in immer gleichen Abläufen ohne Tiefe?

Die Antwort kann nur individuell, von jedem Einzelnen geschehen.

Und die Frohe Botschaft? Das Evangelium? Wir können den Sinn des Lebens immer wieder finden. Gottes Stimme im Herzen hören. Er hilft uns im Gebet, den Kompass wiederzufinden. Wir glauben an den Heiligen Geist, der uns hilft, auf Gottes Weisung hören zu können. Die Frohe Botschaft: Jesus schenkt dir den Mut, über dich und dein Leben nachzudenken, und deinen Weg zu finden. Amen.

 

 

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