Predigt am 4. Advent
Wochenspruch: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich:
Freuet euch! Der Herr ist nahe! (Philipper 4. 4.5b)
Predigttext Lukas 1, 26-38
26 Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine
Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27 zu einer Jungfrau, die vertraut war
einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß
Maria. 28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du
Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29 Sie aber erschrak über die Rede und
dachte: Welch ein Gruß ist das? 30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich
nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger
werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. 32
Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der
Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, 33 und er wird König
sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.
34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von
keinem Manne weiß? 35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige
Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich
überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn
genannt werden. 36 Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch
schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat,
sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. 37 Denn bei Gott ist kein Ding
unmöglich. 38 Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir
geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde!
Advent ist nicht gleich Advent. Jeder Sonntag hat sein eigenes Gesicht. Was ist das Besondere des vierten Adventssonntags? Es ist die Freude, die ihn bestimmen soll und im Sinne unseres Wochenspruchs heute als Vorfreude auf den, der da kommen soll, laut wird.
Freude gibt es auf vielerlei Weise. Da ist die stille Freude des Genießers; die klammheimliche Schadenfreude; der laute Jubel, der sich so schnell verliert, wie er aufgekommen ist; und ich denke an die tiefe Freude, die einem nicht so schnell zu nehmen ist und nur größer wird, wenn man sie mit vielen Menschen teilen kann. Heute will Maria ihre Freude mit uns teilen.
Erst heute? So kann man fragen. Ist es nicht ein bisschen spät, Maria die Geburt des Kindes anzukündigen, das schon in wenigen Tagen auf die Welt kommen soll? Und in der Tat gibt es unseren Predigtabschnitt, der als Mariä Verkündigung auch in den evangelischen Festkalender eingegangen ist, auch noch an einem anderen Platz im Kirchenjahr, der viel logischer erscheint: am 25. März, genau 9 Monate vor Jesu Geburt. Dass wir ihn heute noch einmal hören, besagt: Es geht nicht um eine exakte Chronologie, auch nicht um Biologie, sondern um etwas Grundsätzliches im Sinne unseres Wochenspruchs: Bereit zu sein in Vorfreude und an der Seite Marias zu warten auf den, der da kommen soll.
An der Seite Marias warten? Das ist gar nicht so einfach. Ist sie uns doch meist weit entrückt und schaut von oben auf uns herab - etwa von den pompösen Altären in einer barocken Kirche. Da ist sie z.B. als Himmelskönigin zu sehen; dargestellt mit einem Kranz aus Sternen oder einer goldenen Krone. Diese Maria ist mir fern. Umso lieber sind mir die Darstellungen zusammen mit ihrem Kind. Ob fein geschnitzt oder bäuerlich derb; wenn sie ihr Kind anschaut, strahlt sie Mutterliebe und Menschlichkeit aus.
Ich muss Maria wohl erst vom Thron stoßen, auf den man sie gesetzt hat, damit sie mir wie eine große Schwester nahe ist und etwas zu erzählen hat – auch über mich selbst.
So stelle ich sie mir in der Verkündigungsszene vor nicht mit der Lilie, die Reinheit symbolisiert, oder im kostbaren blauen Mantel; eher in einfacher Kleidung, wie sie für die Hausarbeit taugt.
Doch bevor sie der Engel anspricht, hat der Erzähler Lukas das Wort: Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa. Über die ersten Worte kann man leicht hinweglesen. Doch sie sind wichtig. Denn die Zeitangabe verbindet Mariä Verkündigung mit dem zuvor Berichteten: Der Priester Zacharias tat im Tempel seinen Dienst, als ihm ebenfalls der Engel Gabriel erschien. Und er kündigte ihm an, seine Frau Elisabeth würde einen Sohn bekommen, den später so genannten Johanes den Täufer. Das glich einem Wunder. Denn Elisabeth war schon alt und galt als unfruchtbar.
Wenn nun der Evangelist Lukas sich durch die Zeitangabe im sechsten Monat darauf bezieht, dann macht er deutlich: So besonders Jesu Geburt auch war, sie steht in Kontinuität zu Gottes Gnadenhandeln, der Menschen unverhofft und unerwartet – bis heute! - hineinzieht in seine Heilsgeschichte mit der Welt.
Nun aber hat Gabriel das Wort: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Maria erschrickt über diesen Gruß: „Ich – begnadet? Ich bin doch nur ein einfaches Mädchen. Was ist an mir schon besonders?“
Wir haben viel von Weihnachten verstanden, auf das wir uns doch vorbereiten, wenn wir beachten, wie und wo Gott zur Welt kommt; seine Gnade Menschen berührt. Es sind nicht die Hohen und Geachteten, nicht die, die schnell und laut das richtige Wort finden; auch nicht die Reichen oder gar Schönen – es sind die Niedrigen und Armen, die Gott erwählt. So wird es Maria in ihrem Lobgesang zum Ausdruck bringen: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Gott erwählt die Niedrigen und die Geringen. Das ist die Pointe von Gottes Gnade; eine Pointe, die gänzlich verdorben ist, wenn Maria schon von Geburt an zu einer besonderen Frau gemacht wird, für die der Zusammenhang von Leben, Schuld und Vergebung nicht gilt, der doch unser Leben kennzeichnet.
Maria erschrickt also über die Worte des Engels Gabriel. Und wie sollte man nicht erschrecken, wenn Gott so plötzlich in das Leben tritt?
Auf vielen alten Darstellungen der Verkündigung scheint Maria aber gar nicht erschrocken. Im Gegenteil: Sie wirkt gut vorbereitet, als erwarte sie den Engel bereits. Man sieht sie in der Bibel lesend. Aufgeschlagen ist der Prophet Jesaja im 7. Kapitel: Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären. Wir wissen nicht, ob Maria eine gebildete Frau gewesen ist. Die Armut, die sie mit Josef in der Weihnachtsgeschichte teilt, spricht eher dagegen. Und eine Bibel, noch dazu eine lateinische gab es so noch nicht. Und trotzdem sprechen diese Bilder eine tiefe Wahrheit aus. Maria lebte mit Gottes Verheißungen. Die Worte der Propheten waren ihr vertraut. Sie gehörte selbst zu denen, die auf den Messias warteten. Darum erstaunt sie nicht, was der Engel über das Kind sagt:
dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Ihr Erschrecken hat einen anderen Grund. Denn der Engel sagt: „Durch dich wird der Messias zur Welt kommen. Dich hat Gott dazu bestimmt.“
Als der Priester Zacharias die Worte des Engels über die Geburt eines Sohnes hörte, konnte er es nicht glauben. Und für seinen Zweifel wird er bestraft. Bis zur Geburt des Kindes wird er kein Wort herausbringen. Maria dagegen wird der Zweifel zugestanden. Auch das rückt sie uns näher. Denn ihre Frage ist auch die unsrige: Wie soll das zugehen?
Wie soll das zugehen, dass Gott zur Welt kommt? Dass Menschen in großer Traurigkeit getröstet werden? Dass das Licht der Hoffnung mitten in der Dunkelheit scheint? Dass Liebe in dieser aufgeladenen Zeit Entfremdung und Feindschaft besiegt?
Wie soll das zugehen, dass Christus auch durch uns verleiblicht wird? Dass wir ihn zu den Menschen tragen, wie Maria es gemacht hat? Sie ging ja mit dem Kind unter dem Herzen zu Elisabeth. Und mit ihm brachte sie die Freude. Als Elisabeth Marias Gruß hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib vor Freude.
So will Christus auch durch uns zur Welt kommen und für andere zu Trost und Freude werden.
Maria wird für ihre zweifelnde Frage nicht bestraft, sondern der Engel Gabriel erklärt: Der Heilige
Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.
Gott ist auf vielerlei Weise da. In der Weihnachtsgeschichte gibt es die Klarheit des Herrn, die die Hirten umleuchtet und in der alle Fragen über das Leben und über Gott beantwortet sind.
Es gibt auch die Wolke, ein in der Bibel häufig gebrauchtes Bild für die Anwesenheit Gottes; aber eine, die im Geheimnis verborgen ist. Mose stand in einer solchen als Gott auf dem Berg Sinai mit ihm redete. Eine Wolke führte Israel bei Tag durch die Wüste. Und als Jesus mit drei Jüngern auf dem Berg der Verklärung war, überschattete sie eine Wolke, aus der sie Gottes Stimme hörten. Auf eine Wolke mit ihrem Schatten als Bild für Gottes Präsenz im Geheimnis spielen die Worte Gabriels an: Die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.
Ist es nicht gut, dass es noch Geheimnisse gibt? Nicht Rätsel, die mit viel Scharfsinn gelöst werden können, sondern Geheimnisse, die respektiert, vielleicht sogar geehrt werden wollen. Gottes Menschwerdung gehört sicher dazu. Ob wir einmal auch in dieses Geheimnis mit hineingenommen werden – ich weiß es nicht. Der Engel jedenfalls zerreißt den Schleier oder die Wolke dieses Geheimnisses nicht.
Aber so viel wird deutlich. Durch den Heiligen Geist wird es Gottes eigenes Werk sein, dass er in diesem Menschenkind zur Welt kommt: Der Heilige Geist wird über dich kommen. Der Heilige Geist macht Jesu Geburt zu Gottes Werk. Der Heilige Geist macht auch unsere Werke, so klein und verzagt sie auch sein mögen, zu Gottes Werken.
Der Engel Gabriel spricht weiter: Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat.
Nein, Maria, du bist nicht die einzige, die von Gottes Gnade zu erzählen weiß und doch – wie Elisabeth sagen wird – gebenedeit unter den Frauen, denn Gott hat dich erwählt, den Messias der Welt zu schenken.
Und, Maria, du bist uns Vorbild, weil du die erste bist, die Gott in seinem Werk recht gegeben hat und hast „ja“ gesagt zu dem, der da angekündigt ist, und dessen Kommen für uns große Freude sein wird. Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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