Gottesdienst am 21.5.23
Name des Sonntags: Exaudi
Liebe Gemeinde,
„Warum redest du nicht mit mir? Mein Gott – rede doch einfach!“ Diesen Satz mag mancher noch in den Ohren haben. Und wohl auch die Situation, in der er gesagt wurde, klingt noch nach. – Naja, vielleicht wurde der Satz auch eher wütend geschrien oder zornig gezischt.
Alle Kommunikationstipps dieser Welt helfen nicht, wenn jemand einfach nicht reden will oder kann. Häufig ist das auch kein Problem. So stille Gesellen, mit denen man gemeinsam schweigen kann, haben ja auch etwas Sympathisches. Wenn es allerdings Probleme gibt, dann werden sie selten durch Schweigen gelöst.
Manchmal verliert man sogar wichtige Menschen im Leben – weil sie nicht reden wollen. Mit anderen Worten: Weil sie sich nicht öffnen wollen. Weil sie kein Vertrauen haben. Weil sie Angst vor einer Gegenreaktion haben.
Man verliert aber auch wichtige Menschen im Leben, weil man nicht zuhört. Weil man die stummen Gesten nicht zu deuten weiß. Weil im Alltagsgewirr die leisen Töne untergehen.
„Warum redest du nicht mit mir? Mein Gott – rede doch einfach!“ Diesen Satz würde so mancher gerne auch einmal zu Gott direkt sagen. Nein, eigentlich, nicht sagen, sondern ihm die Frage wie bei einem Streit vor die Füße schleudern wollen – provozierend, wütend.
II.
So wie die Lehrerin, die so erschöpft war; die Haare strähnig, der Schreibtisch voller Unterlagen. Monatelang hatte sie alles organisiert, was mit der Pandemie zu tun hatte: Homeschooling, veränderte Stundenpläne. So gerne hätte sie eine Antwort von Gott bekommen, auf die Frage: „Warum musste ausgerechnet der Vater eines Schülers am Virus versterben?“ So gerne hätte sie ihn gefragt: „Warum redest du nicht mit mir?“
Monatelang hatte sie den Schülern aus der Ukraine Deutschunterricht gegeben. Mit ihnen an Friedensgebeten teilgenommen, Spenden gesammelt. Mit ihnen gelitten, wenn diese im Unterricht wegen eines umgefallenen Stuhls zusammenzuckten – so als würde der Beschuss gleich wieder losgehen. So gerne hätte sie eine Antwort von Gott bekommen auf die Frage: „Warum dieser Krieg? Warum redest du nicht mit mir?“
Monatelang hatte sie den Knoten in ihrer eigenen Brust gefühlt und ignoriert. Die Stimme in sich zum Schweigen gebracht: „Wird schon nicht so schlimm sein!“ Nun die Diagnose. Fragen über Fragen in ihrem Kopf: „Was wird aus meinen Töchtern. Wird es eine Zukunft für mich geben?“ So gerne hätte diese Frau eine Antwort bekommen auf die Frage: „Warum ich? Mein Gott – rede doch einfach!“
„Rede mit mir!“
Es sind nicht nur die alltäglichen Abschiede nach einem Streit, wenn ich mir von meinem Gegenüber wünsche: „Mein Gott – rede doch einfach!“ Es sind vor allem die großen Abschiede im Leben, wenn wir uns von Gott direkt wünschen: „Mein Gott – rede doch einfach!“
III.
Den Abschied Jesu von seinen Jüngern beschreibt der heutige Sonntag Exaudi. Seit seiner Himmelfahrt ist Jesus nicht mehr sichtbar bei ihnen. Es liegen harte Tage hinter und harte Tage vor ihnen. Wahrscheinlich hatten auch sie noch viele offene Fragen. Wahrscheinlich haben auch sie sich damals gewünscht: „Rede mit uns!“
„Rede mit mir!“ Ein junger Mann forderte genau dies von Gott vor über 3000 Jahren. Ganz direkt. Es ist Samuel, ein junger Mann, in der Ausbildung zum Priester. Seine Mutter Hannah hat ihn aus Freude über seine wundersame Geburt in Obhut des Priesters Eli gegeben. Im biblischen Buch 1. Samuel ist sein Gespräch mit Gott, seine Berufung überliefert:
1 Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung.
2 Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte.
3 Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des HERRN, wo die Lade Gottes war.
4 Und der HERR rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!,
5 und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen.
6 Der HERR rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen.
7 Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des HERRN Wort war ihm noch nicht offenbart.
8 Und der HERR rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben rief.
9 Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, HERR, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort.
10 Da kam der HERR und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört
Die Worte die Samuel spricht, lassen tief hineinschauen in diese besondere Beziehung zwischen ihm und Gott. Samuel erkennt ihn nicht gleich.
Dreimal hört Samuel im Schlaf seinen Namen, wird wach, denkt zunächst, dass sein Mentor Eli zu ihm spricht. Er weckt diesen: Siehe hier bin ich. Du hast mich gerufen! Doch Eli verneint. Samuel legt sich wieder schlafen. Wie sollte er auch darauf kommen, daß Gott zu ihm redet, denn des Herrn Wort war selten, und es gab kaum noch Offenbarung.
Beim dritten Mal erkennt Eli, dass es Gott ist, der Samuel ruft. Er rät Samuel, Gott zu antworten: Rede, HERR, denn dein Knecht hört.
IV.
Man könnte ein wenig neidisch sein auf Samuel, weil Gott direkt zu ihm spricht. Gerne wären wir wie Samuel, der Gott hören kann. Und vielleicht denken Sie ja: „Na gut, wenn das mir direkt genauso passiert wäre, würde es mir leichter fallen, auf Gott zu hören. Jeder Zweifel wäre dann erstickt. Ich bekäme dann vielleicht Antworten auf meine Fragen. Natürlich könnte ich dann vertrauen. Ich wäre hoffentlich getröstet, denn Gott würde mit mir reden.“
Direkt berufen zu sein – wie Samuel. So viele Fragen wären ein für alle Mal geklärt. Keine Zweifel, keine Zerrissenheit, keine Ängste – kein Warum mehr!
Aber auch Samuel musste von Gott immerhin dreimal gerufen werden, bevor er ihn erkannte. Ist er dann nicht ähnlich wie wir, die wir Zweifel haben?
Samuel bleibt bescheiden: Rede, denn dein Knecht hört. Er erwartet die Antwort Gottes demütig, geduldig und erstaunlich unspektakulär.
Wer weiß, vielleicht hat Gott ja auch schon zu mir ganz anders geredet, als ich es erwartet habe. Vielleicht ist Gott sogar genau dort, wo wir ihn nie vermutet hätten?
Wie bei dem jungen Samuel, den Gott erst dreimal rufen musste, bevor er ihn erkannte. Der fordern musste: Rede mit mir! Und vielleicht müssen wir auch immer wieder fordern: „Mein Gott, rede mit mir!“
„Mein Gott, rede mit mir!“ Vielleicht haben auch Sie das schon einmal gedacht oder gesagt. Und vielleicht hatten sie dann auch schon das Gefühl, dass Gott auch nach uns ruft – nicht direkt, wie bei Samuel, eher zeichenhaft.
V.
Wenn Sie die Worte: „Rede mit mir!“ zum Beispiel wütend in die Stille hineingerufen haben. In dunkler Nacht. Inmitten von Schlaflosigkeit, inmitten der Schwere der Gedanken – über viele traurige Ereignisse in der Welt, über den Krieg! Inmitten der Dunkelheit – die Morgenröte. Das Zeichen, dass die Nacht bald vorüber ist. Ein neuer Tag anbricht. Vielleicht haben Sie Gott genau dann gehört, wenn die Schwere der Gedanken, der Leichtigkeit des Tages zu weichen beginnt. Im Lied der Amseln.
Oder mitten in der Last des Alltags, beim Abwasch, wenn sie nicht wussten, wohin mit den Rechnungen, die Beine zu schwer für die Arbeit. Vielleicht haben Sie Gott genau dann gehört: Im Gekicher der Kinder im Hof, wenn sie wieder wussten, für wen sie weitermachen sollen.
Oder mitten in der Verzweiflung. Schutz- und Antworten suchend. Wenn die Stimme versiegt, der Hals immer enger wird. Die Forderung: „Mein Gott, rede mit mir!“ versiegt. Inmitten der Stille einer kühlen Kirche in einer lauten Stadt. Der Klang der Glocken, die vertrauten Klänge der Orgel. Keine Antworten bietend, aber zumindest vertraute Momente der Geborgenheit.
Oder mitten in einem Streit: „Mein Gott, rede mit mir!“ Vielleicht haben Sie Gott genau da gehört: Der Vorwurf steht noch mitten im Raum. Die Luft ist zum Schneiden dick. Und plötzlich klingt die Stimme des Gegenübers vertraut und warm.
VI.
Jesus hat die jünger auch nach der Himmelfahrt nicht alleingelassen. Auf andere Art war er ihnen nahe: In ihren Herzen, als nie versiegende Quelle der Kraft. In einem neuen Geist haben sie ihn erkannt. Das war kein Ersatz für seine Anwesenheit, aber ein Trost.
Noch heute lebt dieser Geist unter uns: Dort wo nach Gottes Willen gefragt wird, wo Menschen wie Eli, der Samuel auf die Sprünge hilft, noch mit ihm rechnen. Dort wo Menschen Gott anklagen, wo sie mit ihm streiten und so ihre Beziehung zu ihm noch ernstnehmen, um sie kämpfen. Dort wo Menschen, wie der junge Samuel, wieder und wieder von Gott gerufen werden, bevor sie ihn erkennen. Aber auch dort, wo wir verzagen, wo uns der Hals zugeschnürt ist, ist sein Geist uns tröstend nahe, auch wenn er uns so manche Antwort schuldig bleibt. Und manchmal zeigt sich Gott auch dort, wo wir ihn nie vermutet hätten. Genau dort wo Menschen noch fordern: „Mein Gott, rede mit mir!“
Die Lehrerin verabschiedete sich kurz vor dem Beginn ihrer Therapie von ihren Kollegen. Sie sagte dabei, dass sie gerade als Religionslehrerin noch viele Fragen an Gott habe. Aber auch, dass sie gerade deshalb so froh sei über ihren Glauben, denn zumindest konnte sie mit Gott streiten. Sie fühlte sich getragen und meinte, dass die Welt eine bessere sei, wenn mehr Menschen sich auf so ein Zwiegespräch einlassen und fordern würden: „Mein Gott, rede mit mir!“ Sie vertraute darauf, Gott zu hören, gerade wenn er ihr am weitesten entfernt zu sein schien.
Es lohnt sich, diese Forderung einmal auszuprobieren. Jeden Tag auf die innere Stimme zu hören, mit der Gott mich herausruft. Und jeden Tag zu fordern: Hier bin ich, Gott. Rede mit mir!
Amen.
Arno Mattejat nach einer Vorlage von:
Pfarrerin Lisa Heußner
Nikolausstraße 11, 97082 Würzburg
Lisa [punkt] Heussner [klammeraffe] elkb [punkt] de
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