Predigt vom 3. Januar 2021

Predigt zum 2. Sonntag nach dem Christfest, 3. Januar 2021
Johanneskirche Erlangen


Liebe Gemeinde!

I.
Erinnern Sie sich noch an Ihr Elternhaus?
An die Räume Ihrer Kindheit? Die Küche, das Kinderzimmer –
das Weihnachtszimmer voll geheimnisvoller Verheißung, Glanz und Duft?
An den Feiertagen sind vielleicht Erinnerungen daran aufgestiegen…

Zum Leben gehören Räume.
Wir werden in ihnen groß.
Räume prägen uns.
Spielzimmer und Klassenzimmer, die erste eigene Wohnung...
Wir brauchen Räume, in denen wir uns wohl fühlen, wo wir hingehören, Heimat finden.
Als junge Menschen verlassen wir unser Elternhaus
und suchen eigene Räume,
suchen Unabhängigkeit und neue Zugehörigkeit.
Viele von uns haben das bei den eigenen Kindern erlebt,
wenn sie sich aus unseren Räumen verabschieden
und sich einen eigenen Lebensraum schaffen.

Der Predigttext aus dem Lukasevangelium erzählt,
wie Jesus im Alter von zwölf Jahren sich diesen Raum gesucht und wie er ihn gefunden hat. Und wie er damit seine Eltern in Angst und in Erstaunen versetzt hat.

Lukas 2, 41-52:
41 Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. 42 Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. 43 Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten's nicht. 44 Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. 45 Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. 46 Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. 47 Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. 48 Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. 49 Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? 50 Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. 51 Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen gehorsam. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. 52 Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

II.
Was muss dieser Junge empfunden haben!
Da sitzt er mit den fremden Gelehrten der großen Stadt Jerusalem in dem berühmten Tempel.
Liest und hört Gottes Wort, diskutiert Schriftauslegungen.
Hört zu und findet selbst Zuhörer,
die sind verwundert über seinen Verstand und seine Antworten.
Jesus beeindruckt die Gelehrten im Tempel –
Unzählige Künstler aller Stilepochen haben diese Szene dargestellt,
besonders eindrücklich, wie ich meine, der deutsche Maler Max Liebermann (1847-1935).
Im Ambiente einer Synagoge des 19. Jahrhunderts sind die ehrwürdigen jüdischen Gelehrten
im nachdenklichen Gespräch auf Augenhöhe mit dem Zwölfjährigen zu sehen.
Der Betrachter blickt von hinten über Jesu Schulter.
Ohne Vater und Mutter, fern vom Elternhaus – in Gottes Haus.
Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?
Hier ist mehr als sein Elternhaus. Hier ist er ganz zu Hause.
Bei dem, was Gott für ihn vorgesehen hat.
Jesus spürt vielleicht zum ersten Mal, wofür er auf der Welt ist.
Jesus hat (zumindest vorläufig) seinen alten Lebensraum verlassen.

Was werden Maria und Josef empfunden haben?
Manchmal gibt es Situationen mit unseren Kindern,
in denen wir ahnen, was einmal aus ihnen werden könnte.
Und dann sind sie uns seltsam fremd, fern von uns.
Wir suchen sie, finden keinen Zugang zu ihnen.
Wie Maria und Josef:
Im Tempel haben sie ihn gefunden:
Als sie ihn sahen, entsetzten sie sich.
Sie erkennen ihr Kind kaum wieder.
Sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.
Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?
Und mit einem Mal wird klar:
Dieses Kind steht da, ganz es selbst, und ist ein eigener Mensch.

Die Eltern haben ihn mit Schmerzen gesucht.
Vielleicht spürt auch Jesus den Schmerz, die Trennung von seinen Eltern.
Sie haben ihm Vorhaltungen gemacht: Warum hast du uns das getan?
Es ist fremd zwischen ihnen geworden.
Wenn Kinder zu sich selber finden, ist das für beide Seiten verbunden
mit Schmerz, Missverständnis und Unverständnis.
Noch ist die Trennung zu überbrücken,
Er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen gehorsam.
Die Familien-Idylle kann weitergehen -
vorläufig, denn dann heißt es:
Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Auch dann wird Jesus missverstanden werden.
Viele werden ihn nicht verstehen –
seine Mutter, seine Familie, die Jünger, die Schriftgelehrten, Pilatus….

III.
Eben noch das Kind in der Krippe.
Der Evangelist Lukas erzählt die Weihnachtsgeschichte,
die wir an den Weihnachtstagen gar nicht oft genug hören können..,
Und jetzt ist Jesus 12 Jahre alt…
Nur Lukas erzählt diese einzige Kindheitsgeschichte Jesu.
Er lässt Jesus und seine Familie zunächst ganz menschlich erscheinen:
Der heranwachsende Jesus auf dem Weg zu sich selbst
und die Eltern, die schmerzlich spüren, dass sie loslassen müssen.
Aber sie spielt  im Tempel in Jerusalem,
in dem, was meines Vaters ist.
Viele Künstler haben in dieser Szene Jesus mit Heiligenschein inmitten der Schriftgelehrten dargestellt,
auch der berühmte italienische Maler und Baumeister Giotto (1267-1337).
Er hat in einem Fresko wie Lukas
den 12-jährigen Jesus in hellem Schein als Gottes Sohn vor Augen.
Und die Szene ereignet sich anlässlich des Passahfests in Jerusalem,
Bei Lukas fällt schon ein Schlaglicht auf das Passahfest Jahre später–
und damit auf Jesu Weg zum Kreuz.

IV.
Mit dem heutigen Predigttext verlassen wir das Weihnachtszimmer.
Das Kind, gerade noch in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend,
wächst heran, nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade.
Es lässt sich nicht festhalten.
Weihnachten lässt sich nicht festhalten.
Die freie Zeit.
Die friedlichen Tage.
Die Idylle.
All das lässt sich nicht festhalten.
Unser Alltag geht weiter, und sei es unser Corona-Alltag.
Es ist Zeit, Krippe und Weihnachtsschmuck zu ver-„räumen“.
Den Heiligabend-Glauben wachsen zu lassen.
Diesem Glauben mehr zuzutrauen als nur eine schöne feierliche Stimmung.
Jesus entwächst der Krippe, dem Elternhaus in Nazareth...
Er ist unterwegs, in der Wüste, am See Genezareth, in Kapernaum.
Er ist unterwegs als Wanderprediger, vielerorts zu Gast, heilt die Menschen.
Er hört zu und spricht mit den Menschen,
erzählt Gleichnisse und predigt vom Reich Gottes.
Er wächst über sich hinaus – zu dem, der er ist.
Ja, wer ist er?
Oft genug lässt er sich nicht festlegen.
Er ist zu groß für die Krippe.
und zu lebendig fürs Grab.
Retter der Welt, Heiland, Gottes Sohn.

V.
Ich denke,
die Suche nach diesem Jesus und nach dem Erwachsenenglauben dauert ein Leben lang.
Und wenn wir denken, wir begreifen ihn,
dann stellen wir auch wieder fest – er ist nicht da.
es geht uns wie Maria und Josef auf dem Heimweg vom Passahfest.
Aber Jesus lässt sich finden.
Ganz naheliegend - Wusstet ihr nicht?
im Tempel - in dem, was meines Vaters ist.
In der Kirche, im Gottesdienst, im Austausch in der Gemeinde,
in der Bibel, im Gebet.
Das ist das Angebot an uns,
wenn wir das Weihnachtszimmer verlassen haben,
in einem Jahr voller Ungewissheit
nach neuen Räumen in unserem Glauben zu suchen.


Unfassbar bist du, großer Gott.
Unfassbar und wundervoll.
(Ich staune, wie du immer wieder anders bist, als ich dich denke.)
Ich danke dir,
dass ich dich suchen und finden kann,
und du mich in all meinen Lebensräumen begleitest.
Amen.
                                      Prädikantin Friedegard Brohm-Gedeon
 

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