Predigt am Sonntag Sexagesimae zur Marriage Week, 20. Februar 2022
Predigttext Mt 19, 3-6
3 Da traten Pharisäer zu ihm und versuchten ihn und sprachen: Ist's erlaubt, dass sich ein Mann aus irgendeinem Grund von seiner Frau scheidet? 4 Er aber antwortete und sprach: Habt ihr nicht gelesen,
dass der Schöpfer sie am Anfang schuf als Mann und Frau 5 und sprach (1. Mose 2,24): »Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch
sein«? 6 So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext ist ausgesucht zu unserem Thema. Und das Thema ist eine Frage: „Wer eins werden will mit einem anderen Menschen, muss Vater und Mutter verlassen. Ist das wirklich so? Zählt unsere Ehe mehr als unsere Herkunft?“
Ich vermute, dass das Spannungsfeld, das entsteht, wo zwei Menschen eine gemeinsame neue Geschichte beginnen wollen, zugleich aber zwei verschiedene alte mitbringen, dass dieses Spannungsfeld Grund für so manche Ehekrise und Thema vieler Beratungen ist. Über dieses Thema könnte man ganze Seminare abhalten. Nun ist der Gottesdienst kein Seminar und die Predigt kein Vortrag. Wir stellen unsere Fragen in das Licht der Bibel. Dabei werden wir früher oder später auf die Frage stoßen, wie denn die Bibel an der einen oder anderen Stelle zu verstehen ist.
Und damit sind wir schon mitten im Predigttext angekommen. Denn wie die Schrift, genauer: das Gesetz zu verstehen ist, das ist die Frage, die die Pharisäer und Jesus latent diskutieren; hier am Beispiel der Ehescheidung.
Die Pharisäer stellen Jesus eine Fangfrage; das heißt; ihr Interesse gilt nicht der Lösung einer kniffligen Auslegungsfrage, sondern sie möchten Jesus in Widerspruch zum Gesetz bringen, um ihn anprangern zu können. Ein anderes Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung über den Sabbat: Da streifen die Jünger durch ein Kornfeld und stillen ihren Hunger an den Ähren. Das aber ist am Sabbat verboten. Jesus verteidigt seine Jünger: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. Jesus legt das Gesetz nicht nach seinem Buchstaben aus, sondern fragt nach dem eigentlichen Gotteswillen.
Dieses Gesetzesverständnis ist uns mindestens in der Praxis eher fremd. Wir fragen danach, was erlaubt und was verboten ist. Konzerne beschäftigen Scharen von Anwälten, um Gesetzeslücken aufzuspüren und auszunutzen.
Jesus interessiert nicht, wann Ehescheidung gerade noch erlaubt ist. Ihm geht es um Gottes ursprünglichen Willen. So unterläuft er die Diskussion über die Möglichkeiten einer Scheidung, indem er herausstellt: Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!
Für Jesus ist das Neue, das entsteht, wo zwei Menschen eine gemeinsame Geschichte beginnen, eine vollkommene Einheit. Die zwei werden ein Fleisch sein. Das lässt sich bekanntlich nur mit Gewalt zerteilen. Für den Sonntagsbraten nachher werden sie das schärfste Messer nehmen.
Es gibt auch heiterere Metaphern; etwa: Die zwei werden ein Herz und eine Seele sein.
Sie werden es, sagt Jesus, weil ein Mann Vater und Mutter verlässt und sich an seine Frau hängt; was sich natürlich auch umkehren lässt. Nicht aber wird die Frau einfach in die Familie des Mannes integriert, sondern es entsteht etwas Neues.
Nicht fließt die Pegnitz in die Rednitz oder die Rednitz in die Pegnitz. Vielmehr beginnt an ihrem Zusammenfluss etwas Neues: die Regnitz.
So schön das Bild ist – es hat einen Haken. Wenn sie in Erlangen in die Regnitz schauen, lässt sich nicht mehr sagen: Dieses Wasser stammt aus der Pegnitz, jenes aus der Rednitz. Alles ist zu einem Strom geworden. In der Gemeinschaft einer Ehe sind jedoch alte Prägungen nach wie vor präsent. Das wird spätestens beim ersten gemeinsamen Weihnachtsfest sichtbar: „Wird der Baum geschmückt, so wie es mir lieb ist, mit Kugeln und Lametta; oder nach deiner Weise mit echten Kerzen und Strohsternen?“
Schon mein Großvater hat mir eingeschärft – es war wohl als Warnung gemeint: Man heiratet die Familie mit! Und in der Tat bekommt man ja neue Schwägerinnen und Schwager, Neffen und Nichten usw. und – ja! – auch eine Schwiegermutter. Sei es die Mutter des Mannes, die der Schwiegertochter nicht zutraut, die Hemden richtig zu bügeln. Und das Lieblingsessen für den Sohn kann sie natürlich auch nicht so kochen, wie das nur die Mutter kann.
Sei es die Mutter der Frau, die zugleich ihre beste Freundin ist. Sie sind so eng miteinander, dass für den Mann eigentlich keine Chance besteht, etwa bei der Erziehung der Kinder mitzureden.
Verstehen sie das bitte als Karikatur; bzw. die böse Schwiegermutter als Symbol für alles, was der neuen gemeinsamen Geschichte im Weg steht.
Aus zwei verschiedenen Geschichten entsteht also eine gemeinsame neue. Das Neue erwächst aus dem Alten und wird nie ohne es sein und muss sich manchmal des Alten erwehren. Es kann auch sein, dass das gemeinsame Neue kaum noch zu erkennen ist. Wenn etwa nach vielen Ehejahren die Frage aufbricht: Was verbindet uns eigentlich (noch)? Die großen gemeinsamen Projekte sind abgehakt. Das Haus ist gebaut, der Garten perfektioniert, der erträumte Wintergarten ist auch realisiert und die Kinder sind längst aus dem Haus.
Und auch, wenn sie selbst daran zweifeln – für Jesus bleiben sie ein Fleisch!
Wo aber ist diese vollkommene Einheit erkennbar?
Bei meiner Bibellektüre habe ich zwei Modelle gefunden. Das erste will ich das konservative nennen. Für die Generation meiner Großeltern war es noch überwiegend selbstverständlich.
Das Einssein ist anzuschauen im Mann. Er ist das Familienoberhaupt. Er repräsentiert die Einheit nach außen; nach innen wird sie vollzogen durch Unterordnung, sei es freiwillig oder sogar gern oder mit dem nötigen Druck. Dieses Modell kann sich auf das zweite Kapitel der Bibel berufen.
Es gibt in der Bibel zwei Schöpfungsberichte. Der erste ist der später entstandene; der zweite mit der Paradiesgeschichte ist der ältere. Beide widersprechen sich durchaus. Aber wir fragen ja nicht nach dem Buchstaben, sondern mit Jesus nach dem Sinn…
Im älteren Bericht ist die Frau von Anfang an auf den Mann bezogen. Gott sagt: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen. (M.a.W.: Der Mann kommt allein nicht gut zurecht.) Gott lässt Adam in einen tiefen Schlaf fallen, entnimmt ihm eine Rippe und baut daraus eine Frau. Die Frau ist also des Mannes Gehilfin und ihm zugeordnet.
Dieses Modell der Unterordnung nimmt Paulus im 1. Korintherbrief im 11. Kapitel auf: 7Der Mann aber… ist Gottes Bild und Abglanz; die Frau aber ist des Mannes Abglanz. 8Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau von dem Mann. 9Und der Mann wurde nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen. Das ist für uns heute schwer verständlich; genauer gesagt: schwer erträglich.
Aber genau so argumentiert Jesus nicht! Er zitiert aus beiden Schöpfungsberichten; aber so, dass die Gleichheit von Mann und Frau betont wird: Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie am Anfang schuf als Mann und Frau 5 und sprach (1. Mose 2,24): »Darum wird ein Mann Vater und Mutter
verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein«? Das wäre also das Modell „Gleichheit“, in dem das Einssein zu denken ist. Für uns ist es wohl das einzig Mögliche.
Aber auch so stößt unsere Vorstellung schnell an Grenzen. Da mögen zwei noch so sehr ein Herz und eine Seele sein. Die schöne Metapher kann nur kurzfristig verbergen, dass es um zwei unterschiedliche Individuen geht.
Es lohnt sich, noch einmal genauer auf Jesu Wortlaut zu achten: Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden! Subjekt dieser entstandenen Einheit ist hier Gott! Ich meine, das ist die Pointe von Jesu Worten in Bezug auf unsere Frage: Blicken wir auf uns, sehen wir immer beides: Übereinstimmung, Einssein und Verschiedenheit bis hin zu unüberbrückbaren Differenzen. Anzuschauen ist das Einssein, von dem Jesus spricht, in Gott, der Menschen zusammenführt und sie in ihrer Gemeinschaft segnet. Anzuschauen ist es im Segen Gottes, der nie nur hinter uns, sondern immer auch vor uns liegt. Darum ist das Einssein eine Verheißung und es ist Trost, mit dem wir über Krisen hinausblicken können. Der Segen ist eine Verheißung, die größer ist als unser Versagen voreinander und die Enttäuschungen, die wir uns bereiten.
Was zählt nun mehr; die unterschiedlichen Prägungen, die wir mitbringen oder die neue gemeinsame Geschichte, die zwei Menschen (nicht nur in der Ehe) begonnen haben?
Was zählt mehr: Herkunft oder Zukunft?
Die Frage lässt sich nicht mit einem Entweder-oder beantworten. Sie wird vielmehr überboten: Was zählt, ist der Segen, den zwei Menschen empfangen haben. Was zählt, ist die Verheißung Gottes, der uns zur Gemeinschaft miteinander bestimmt hat. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Erst als der Mensch ein Gegenüber gefunden hat, ist die Schöpfung vollendet. Und uns zur Erinnerung, dass wir unter dem Segen Gottes leben, hat er seinen Bogen in die Wolken gesetzt. Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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